«Als Pfarrerin begleitete ich die Menschen von der Geburt bis zum Tod»
Der «Sommer im Feld» in Flawil: Eine Feldbeiz vor der Kirche im Park, Musik und Plausch. Hier, wo sich Flawil im Sommer trifft, treffe ich auch Christina Egli, die angehende Flawiler Pfarrerin, und ihren erfahren Kollegen Mark Hampton.
Frau Egli, Sie kennen Mark Hampton seit Jahren. Nun sind Sie selbst Pfarrerin. Was wollen Sie anders machen als er?
Christina Egli (E): Das ist eine fiese Frage (lacht). Im Vikariat lernt man, dass man nicht gleich alles auf den Kopf stellen soll, wenn man in eine neue Gemeinde kommt. Daran will ich mich halten, obschon ich die Gemeinde schon kenne. Zudem fällt mir nichts ein, wo ich finde, das muss ich total anders machen als Mark.
Wieso sind Sie Pfarrerin geworden?
E: Schon nach der Matur habe ich mir überlegt, Theologie zu studieren, bin dann aber zuerst Sekundarlehrerin geworden. Später bin ich in die kirchliche Arbeit reingerutscht, habe als Jugendarbeiterin hier in Flawil gearbeitet. Schon als Lehrerin habe ich gerne Menschen begleitet. Nun begleite ich sie nicht nur während dreier Jahre, sondern von der Geburt bis zum Tod. «Nahe bei Gott, nahe bei den Menschen» – das Motto der St. Galler Kirche ist auch mein Motto.
Wie war das bei Ihnen, Herr Hampton?
Mark Hampton (H): Ich bin in einem Nichtchristlichen Elternhaus aufgewachsen. Religion war kein Thema, vermutlich hatten meine Eltern in ihrer Kindheit schlechte Erfahrungen gemacht in der Kirche.
Ich bin Gott für jedes Jahr dankbar, in dem ich kein Kind und keinen Teenager beerdigen muss.
Mit 18 Jahren habe ich gemerkt, dass mir etwas fehlt im Leben, und mir Fragen gestellt: Woher kommen wir, warum stehe ich jeden Tag auf und tue, was ich tue? Was für einen Sinn hat mein Leben, und was ist nach dem Tod? All diese existenziellen Fragen sind plötzlich aufgetaucht. So habe ich mich mit dem Christentum auseinandergesetzt, habe Theologie studiert und bin schliesslich Pfarrer geworden. Mir war es ein Anliegen, die sinngebende Botschaft des Evangeliums in der Öffentlichkeit zu vertreten.
Nun sind Sie seit Jahrzehnten Pfarrer. Was hat sich in dieser Zeit verändert?
H: Alles ist individueller geworden. Zum Beispiel die Ansprüche, Hochzeiten oder Abdankungen individuell zu gestalten. Die jetzige, hochbetagte Generation hatte eine innere Verbundenheit zur Kirche – nicht nur als Institution, sondern als Lebensraum, als Gemeinschaft.
Ein Gottesdienst muss nicht immer nur von einer Pfarrperson vorbereitet werden.
Die Herausforderung ist: Wie schaffen wir Begegnungsmöglichkeiten für Menschen, die nicht kirchlich orientiert sind? Wie begegnen wir unseren Mitgliedern, die keinen Zugang zum Gottesdienst finden?
Und was ist Ihre Antwort?
H: Wir sind hier im «Sommer im Feld», das ist eine Antwort darauf. Aber wir müssen weitere Wege finden, diese Herausforderung bleibt eine Knacknuss.
Herr Hampton, mit bald 66 Jahren sind Sie immer noch als Pfarrer tätig. Weshalb?
H: Als Christina Egli ihr Theologiestudium begann, trafen wir eine geheime Absprache: Ich bleibe so lange hier, bis sie meine Nachfolge antreten kann (lacht). Nun habe ich mein Pensum reduziert und Christina ist mit 80 Prozent eingestiegen.
E: Für uns ist das sehr wertvoll, dass du noch da bist. Da sind so viele Erfahrungen, auf die wir zurückgreifen können.
H: Spätestens mit 70 ist aber Schluss, das sagt die Kirchenordnung.
Worauf könnten Sie im Beruf verzichten?
E: Mein Herz schlägt für die Arbeit mit Jugendlichen und den Konfirmations-Unterricht. Und ich glaube, es gelingt mir, gute Beziehungen zu ihnen zu knüpfen, die lange halten. Worauf ich aber gerne verzichten würde: irgendwelchen Kreditpunkten für die Konfirmation nachzurennen, Pfefferstern-Anmeldelisten abzugleichen, all das administrative Zeugs.
In England haben sie keine Angst, dass keine Leute kommen. Sondern sie befürchten, dass zu viele Leute kommen, dass das Projekt zu gross wird.
H: Ich bin Gott für jedes Jahr dankbar, in dem ich kein Kind und keinen Teenager beerdigen muss. Ich wünsche keiner Familie, dass das passiert. Aber auch da gehört es als Pfarrer dazu, zu funktionieren, den Betroffenen beizustehen und die seelsorgerische Verantwortung in einer unmöglichen Lage wahrzunehmen.
Wie wird sich der Pfarrberuf entwickeln?
E: Es hat zu wenig Pfarrerinnen und Pfarrer. Deshalb muss man schauen, dass man das Feld öffnet und vermehrt Laien einbezieht. Ein Gottesdienst muss nicht immer nur von einer Pfarrperson vorbereitet werden.
H: Wir werden in grösseren Regionen denken und vermehrt Freiwillige einsetzen und befähigen. Im Sinne einer Beteiligungskirche. Kirchliche Arbeit ist Beziehungsarbeit. Aber als Pfarrer kann ich nur mit einer begrenzten Anzahl Menschen eine tiefere Beziehung aufbauen, denn ich lebe und wirke mit beschränkten Ressourcen. Und diese Einschränkung gilt nicht nur für Pfarrpersonen. Vor zwei Jahren habe ich in meinem Studienurlaub in England «Fresh Expressions» – neue Formen von Kirche – besucht. Dort haben sie keine Angst, dass keine Leute kommen. Sondern sie befürchten, dass zu viele Leute kommen, dass das Projekt zu gross wird. Ab 60 Leuten, so ihre Erfahrung, wird es unpersönlich und die Quatltät der kirchlichen Gemeinschaft dadurch gemindert. Es braucht darum unter dem Dach einer grossen Kirche viele kleine Formen von Gemeinschaft, in denen Menchen sich beheimaten können.
Was halten Sie vom «Plan P», der Akademikern ab 55 Jahren nach einem Crashkurs ermöglichen will, pfarramtlich tätig zu sein?
E: Ich kenne diesen Plan nicht im Detail. Aber dass man angesichts des Pfarrmangels den Menschen den Weg in den Pfarrberuf einfacher machen will, finde ich gut.
H: Ich denke, der «Plan P» ist schlau aufgesetzt: überschaubar, terminiert, eine Notlösung für eine Notsituation. Viel schlimmer wäre, nichts zu tun. Wichtig ist, dass man sorgfältig abklärt, ob sich die Personen für das Pfarramt eignen – von der Persönlichkeit her, nicht vom Fachwissen. Fachwissen kann man sich mit der Zeit aneignen.
Soll man als Pfarrerin, als Pfarrer in der Gemeinde wohnen?
E: Schön ist das schon, aber nicht immer realistisch. Mein Mann und ich haben ein Haus in Gossau gebaut, deshalb ziehen wir nicht nach Flawil. Ich kann mich auch von Gossau aus in Flawil engagieren.
H: Ich sehe das ähnlich. Wenn sich die Pfarrämter regionalisieren, erübrigt sich die Frage. Denn man kann nicht überall wohnen. Ich allerdings habe immer im Dorf gewohnt, wo ich gearbeitet habe. Dort einzukaufen, wo die Leute sind, sich im Dorf zu Fuss zu bewegen – das schafft Begegnungsmöglichkeiten, das hat einen Mehrwert.
Früher buk «Frau Pfarrer» Kuchen für den Basar, so das Klischee. Soll die Partnerin oder der Partner sich in der Kirchgemeinde engagieren, oder ist das passé?
E: Mein Mann hat mir versprochen, er eröffne eine Strickgruppe, wenn ich hier als Pfarrerin beginne (lacht). Im Ernst, diese Erwartung ist wirklich von vorgestern. Das schliesst aber nicht aus, dass sich die Familie dennoch engagiert. Hier im «Sommer im Feld» zum Beispiel helfen mein Mann und meine Kinder tatsächlich gerne mit. Wenn sie sich engagieren, ist das schön – wenn nicht, ist es auch in Ordnung.
Wie sieht die Kirche in 20 Jahren aus?
E: Hoffentlich so wie hier am «Sommer im Feld»: offen für die Menschen.
H: Ich wünsche mir eine Kirche, die lebendig und fröhlich ist, verbunden mit dem Schöpfer und mit Christus, eine Kirche, die Lebensfreude verkörpert. Ein Glaube, der Hoffnung verleiht und den Menschen den Rücken stärkt, ist ansteckend.
Christina Egli und Mark Hampton
Die Sekundarlehrerin Christina Egli, Jahrgang 1979, arbeitete in der Kirche zuerst als Jugendarbeiterin, als sie nach Gossau SG zog, und studierte dann Theologie. Am 17. August wurde sie in St. Gallen ordiniert und ist nun Pfarrerin in Flawil.
Mark Hampton, Jahrgang 1959, wuchs im US-Bundesstaat Michigan auf und kam während des Theologiestudiums in die Schweiz, wo er seine Frau kennenlernte. Seit elf Jahren ist er Pfarrer in Flawil. Hampton hat fünf Kinder und 13 Enkelkinder.
«Als Pfarrerin begleitete ich die Menschen von der Geburt bis zum Tod»