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Fokus-Thema: Kirchenumnutzung

Ein zweites Leben für alte Kirchen

von Vera Rüttimann
min
12.01.2024
Weniger Finanzen und Mitglieder. Auf der anderen Seite verfügen die Kirchen über unzählige Liegenschaften, die kosten. Teils sind sie denkmalgeschützt oder prägen das Bild der Städte und Dörfer. Verkaufen, abreissen oder umnutzen?

Martina Wäckerlin ist Architektin und in der Bauherrenberatung tätig. Selbst eine Klosterschule hat sie umgenutzt. Sie weiss, welche Herausforderungen Kirchen und kirchliche Liegenschaften darstellen. Für die Behörden stellt sich da die Frage: Ist dieser Besitz ein Fluch oder ein Segen?

Martina Wäckerlin, können Sie sich eine Stadt in der Schweiz ohne Kirchen vorstellen?

Ich möchte nicht auf Kirchen in unserem Stadtbild verzichten. Sie sind identitätsstiftend für eine Stadt und prägen oft ihr Zentrum. Sie sind Orientierungspunkte. In unserem hektischen und ruhelosen Alltag sind Kirchen und ihr Umfeld zudem auch Orte zum Verweilen. Ich persönlich höre sehr gerne auch den Klang der Glocken. Darauf möchte ich nicht verzichten, weil es mich beruhigt.

Sind Kirchen für Sie auch spirituelle Oasen?

Kirchen lösen schon etwas in mir aus. Vielleicht Ehrfurcht vor ihrem Alter und ihrer Geschichte? Die historische Dominanz von Kirchen strahlt von ihrer Erscheinung her etwas aus – auch für nicht spirituelle Menschen.

Offene Kirche, Basel – Die Event-Kirche

Neues in alten Mauern: 1994 übernahm die Citykirche Basel die Elisabethenkirche. Die Kirche gilt als bedeutenster neogotischer Bau der Schweiz. Hier finden neben Sonntagsgottesdiensten auch Veranstaltungen der Lesbischen und Schwulen Basiskirche, Tiergottesdienste, Partys wie «Oldies but Goldies» oder Podiumsdiskussionen statt. Und das mit Erfolg, Offene Kirche Elisabethen trägt sich weitgehend selbst!

 

| Foto: Nicolas Gysin

| Foto: Nicolas Gysin

Haben Sie eine Lieblingskirche in der Schweiz?

Als Architektin finde ich die Piuskirche in Meggen sehr schön. Die braun-gelben Marmorplatten erzeugen eine wunderbare Lichtstimmung.

Die Frage ist, wie ‹Gewinn› definiert wird. Wenn mit dem Gewinn einer Liegenschaft der Unterhalt einer anderen finanziert werden kann, ergibt das Sinn.

Viele Kirchgemeinden stehen heute unter finanziellem Druck. Wie könnten die Kirchgemeinden ihre Kirche gewinnbringend bewirtschaften?

Man muss das ganze kirchliche Liegenschaftsportfolio ansehen. Es gibt darin Gebäude, die sich dafür eignen würden, gewinnbringend bewirtschaftet zu werden, um mit diesem Gewinn danach in die Liegenschaften zu investieren, die aufgrund ihrer Nutzung und Typologie keine oder nur sehr wenige Erträge einbringen. Für Kirchgemeinden wie Zürich, Bern oder Basel, die ein grosses Immobilienportfolio haben, ist es wichtig, nicht nur die einzelne Liegenschaft zu betrachten, sondern eine liegenschaftenübergreifende Portfoliostrategie zu haben. Für kleine Kirchgemeinden an schlechteren Makrolagen ist es aber sicher eine sehr grosse Herausforderung, gewinnbringend zu bewirtschaften.

Ist Gewinnmachen denn im Sinne der Kirche?

Das muss die Kirche beantworten. Die Frage ist, wie «Gewinn» definiert wird. Wenn mit dem Gewinn einer Liegenschaft der Unterhalt einer anderen Liegenschaft finanziert werden kann, macht es aus meiner Sicht Sinn.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Die reformierte Kirche der Stadt Zürich ist sehr professionell aufgestellt. Hier ist der Versuch da, mit Kostenmieten zu arbeiten. Es werden also Mieteinnahmen angestrebt, mit denen die anfallenden Kosten gedeckt werden können.

Bullingerkirche, Zürich – Das Parlament

Kirche wird Parlament: Das Zürcher Rathaus wird in den nächsten Jahren umgebaut. Ab Februar 2023 tagte der Kantonsrat in der Bullingerkirche. Dabei wurden keine Kosten gescheut, um die Kirche in ein zeitgemässes Parlament umzubauen. Einige Kantonsräte bedauern es, wenn sie die Kirche wieder verlassen müssen.

| Foto: Keystone

| Foto: Keystone

Sollen die Kirchgemeinden ihre Liegenschaften verkaufen oder lieber umbauen und vermieten? Was ist nachhaltiger?

Das hängt sehr stark vom Einzelfall ab. Braucht die Kirchgemeinde den Erlös, der mit einem Verkauf generiert wird? Oder aber hat die Kirchgemeinde die finanziellen Mittel sowie die personellen Ressourcen und die Kompetenzen, um eine Liegenschaft zu sanieren oder umzunutzen?

Können Sie ein Beispiel aus Ihrem Berufsalltag nennen?

Da ist zum einen das Kirchgemeindehaus Oekolampad in Basel: Die Evangelisch-reformierte Kirche in Basel-Stadt hat den Oekolampad-Gebäudekomplex 2020 an die Stiftung Wibrandis verkauft, die das Gebäude nun für soziale und kulturelle Zwecke umnutzt. Nach der Sanierung und dem Umbau werden die Räumlichkeiten im Sinne einer Förderung vier gemeinnützigen Basler Institutionen zur Vergügung gestellt. Der bauliche Eingriff wird von der Stiftung Wibrandis finanziert.

Auch im Kloster Fahr war Wüest Partner AG involviert. Was konnte das Büro hier realisieren?

Die ehemalige Bäuerinnenschule auf dem Klosterareal stand lange leer. Der Gasthof und der Bauernhof wurden weiter betrieben. Es zeigte sich jedoch, dass es für die älter werdenden Ordensfrauen des Klosters immer schwieriger wurde, den Betrieb aufrechtzuerhalten. Man wollte diese Liegenschaften nicht verkaufen, denn die Ordensfrauen sind ja bis heute noch vor Ort.

Wüest Partner AG ist dann damit beauftragt worden, das Kloster Fahr dabei zu unterstützen, Betreiber und Investoren zu finden für diese frei werdenden Gebäude auf dem Areal. Eine der wichtigen Voraussetzungen war, dass die neue Nutzung und das Kloster harmonieren. Das Kloster Fahr soll ein Ort der Ruhe und Einkehr bleiben, die Gebäude aber müssen wirtschaftlich betrieben werden. Es war sehr komplex, unter anderem weil sich das Kloster Fahr auf dem Boden zweier Kantone befindet.

Lukaskirche, Luzern – Die Oase

Oase in der Stadt: Die Lukaskirche liegt nahe dem Bahnhof Luzern, mitten im Trubel der Stadt. Der Bau mit der imposanten Freitreppe und dem mächtigen Turm wurde in den 1930er- Jahren geschaffen. Statt bei der Sanierung 2019 zu verdichten, wurde die Umgebung so gestaltet, dass sich die Luzerner heute hier im Vögeligärtli erholen.

| Foto: Daniela Burkart/burkart.lu

| Foto: Daniela Burkart/burkart.lu

Wie sah bei diesem Projekt Ihre konkrete Aufgabe aus?

Wir haben die verschiedenen Liegenschaften analysiert und die verschiedenen Nutzungseinheiten (Landwirtschaft und Gebäude) strukturiert. Zudem haben wir verschiedene Gespräche mit dem Kloster und den Ämtern geführt. Die Erkenntnisse aus dieser vorbereitenden Arbeit wurden in ein Ausschreibungsdokument überführt. Eine Gruppe, die die Idee von christlich-gemeinschaftlichem Mehrgenerationenwohnen, aber auch ein Konzept für das Gasthaus und den Landwirtschaftsbetrieb hatte, ging dann als Siegerprojekt hervor. Investorin ist Prosperita, eine christlich-ethische Pensionskasse.

Es gilt für die Kirchgemeinden, die Potenziale, die einzelne Objekte bieten, herauszuschälen und zu nutzen.

Immer wieder wird der Ruf laut, die Kirchen sollten ihre Liegenschaften für sozialen Wohnungsbau einsetzen. Ergibt das Sinn? Oder wären marktübliche Renditen nicht besser, um dann den Gewinn für soziale Zwecke einzusetzen?

Man muss auch Wohnliegenschaften differenziert betrachten. Je nach Standort, Quartier, Wohnungsgrössen und -typologie eignen sich die einen Liegenschaften zum Beispiel sehr gut als Kleinwohnungen mit Markmieten, mit denen ein Gewinn erwirtschaftet werden kann. Andere Liegenschaften aber eignen sich hingegen sehr gut für bezahlbare Familienwohnungen, bei denen die Mieteinnahmen gerade die Kosten decken. Es zählt wieder die Gesamtbetrachtung: Ziel sollte es sein, dass mit den Mieteinnahmen eines Liegenschaftenportfolios die Kosten gedeckt sind und ein nachhaltiger Betrieb und Unterhalt möglich ist.

Wie lautet eine Ihrer wichtigsten Erkenntnisse aus dem Kirchenbautag 2023?

Die Kirche besitzt sehr viele Liegenschaften. Das ist eine riesige Chance, die aber auch sehr viele Herausforderungen mit sich bringt. Es gilt, die Potenziale, die einzelne Objekte bieten, herauszuschälen und zu nutzen.

 

Martina Wäckerlin arbeitet als Director bei Wüest Partner AG in der Bauherrenberatung und Immobilienbewertung.

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