Eine 40'000 Jahre alte Zusammenarbeit
Er wünsche sich «weniger Kirche» im Theater und «mehr zeitgenössische Texte»: So wurde der Intendant des Stadttheaters Bern, Stephan Märki, diese Woche im «Bund» zitiert. Dabei ging es um eine Frage, die in den vergangenen Tagen in der Presse und in Kulturkreisen heiss diskutiert wurde: Warum ist die Schauspielleiterin Stephanie Gräve gemäss Mitteilung des Theaters «auf Antrag» des Intendanten nach nur einem halben Jahr per sofort freigestellt worden?
Offiziell gab Konzert Theater Bern das Stadttheater «grundlegende inhaltliche und strategische Differenzen» als Grund an. Weiter wollte sich die Kommunikationsstelle bisher nicht äussern. Bis eben der Intendant selbst am Rand einer Medienorientierung die Zusammenarbeit mit der Kirche ins Spiel brachte. Notabene eine Verbindung, zu der er sich noch im vergangenen Frühjahr positiv geäussert hatte. Warum diese Kehrtwende? Anfragen dazu beantwortete das Stadttheater bisher nicht.
Zusammenarbeit intensiviert
Tatsächlich hat Stephanie Gräve die Zusammenarbeit mit Religionsgemeinschaften intensiviert und damit etwas weitergeführt, was bereits vor ihrem Antritt begann. In der aktuellen Spielzeit sind insgesamt neun Stücke programmiert, bei denen das Theater mit 23 Kirchen, kirchlichen Fachstellen und Religionsgemeinschaften zusammenarbeitet. Zurzeit ist das Thema in «Der gute Mensch von Sezuan» präsent.
Grundsätzlich wird aber im modernen Theater eher die Distanz als die Nähe zur Religion betont. In der Geschichte hingegen ist beides sehr stark verknüpft, wie Andreas Kotte bestätigt. Er ist Leiter des Instituts für Theaterwissenschaft an der Uni Bern und hat selbst ein Standardwerk zur Theatergeschichte geschrieben. «Schon in den frühesten dokumentierten Anfängen der Künste, vor 40'000 Jahren, ist der kultische Zusammenhang nicht von der Hand zu weisen, bei theatralisch vollzogenen Totenritualen oder Ahnenkulten beispielsweise», sagt Kotte.
Werkzeug für Christianisierung
Eine besonders enge Beziehung habe es zur Zeit der Christianisierung in Europa gegeben, und zwar über Jahrhunderte. «Dieser Prozess war sehr langwierig und schwierig. Die Gottesdienste wurden in Latein abgehalten. Die Kirche machte sich deshalb die Integrationskraft des Theaters zunutze», führt Andreas Kotte aus. Vom 8. bis zum 15. Jahrhundert wurde so der Glaube in Mysterien-, Fronleichnams-, Oster- und Passionsspielen auf den Alltag der Leute heruntergebrochen und populär gemacht.
Ab der Reformation sei es im kirchlich motivierten Theater hauptsächlich um den zwischenkirchlichen Kampf gegangen: «Man hat vor allem gegen die anderen Konfessionen geschossen», hält der Theaterwissenschaftler fest. Und während bei den Reformierten der Wortlaut der Bibel im Zentrum stand, wollte das Jesuitentheater die Leute über Affekte abholen: «Es ging um einen möglichst grossen Schauwert, mit Balletten, Musik, riesigen Bühnen, riesigem Pomp.»
Davon ist in der heutigen Zusammenarbeit von Kirche und Theater kaum mehr etwas zu spüren. Das Verhältnis erachtet Andreas Kottes zwar als distanziert, aber auch «unverkrampft und entspannt». Persönlich habe er in vorab in Bern in den 90er Jahren eine stärkere Zusammenarbeit wahrgenommen als in jüngster Zeit, etwa mit den Publikumsmagneten «Totentanz» und «Der Glöckner» auf dem Münsterplatz oder dem Stück «Gier» im Münster selbst.
In näherer Zukunft erwartet der Professor aber wieder eine stärkere Verknüpfung: «Mit der Flüchtlingsfrage und der viel stärkeren Tangierung der Gesellschaft in Europa durch Glaubensfragen wird die Religion wieder mehr ins Bewusstsein rücken.» Und wenn man von den professionellen Bühnen absehe: Auch im Amateurtheater zeige sich, dass der Glaube ein Thema ist, sagt Andreas Kotte insbesondere mit einem Verweis auf die Freikirchen.
Dass der Weg der Zusammenarbeit sowohl der Kirche als auch dem Theater etwas bringen kann, zeigen die Projekte des Stadttheaters in Bern. Die Inszenierungen lockten auch Publikum an, das sonst weniger theateraffin ist. Und das Echo war zum grossen Teil positiv.
Bildlegende: Zu «Der gute Mensch von Sezuan» wurde in Bern auch ein Theatergottesdienst durchgeführt im Bild Deleila Piasko, Birger Frehse und Mariananda Schempp (von links).
(Foto: Konzert Theater Bern/Annette Boutellier)
Dieser Artikel stammt aus der Online-Kooperation von «reformiert.», «Interkantonaler Kirchenbote»
und «ref.ch».
Marius Schären/reformiert.info
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