Baselland, Basel-Stadt, Luzern, Schaffhausen, Schwyz, Solothurn, Uri, Zug
Notfallseelsorger Fred Palm

Er ist da, wenn es brennt und wenn es still wird

von Carole Bolliger
min
30.10.2025
Fred Palm löscht keine Brände – er löscht Not. Seit sieben Jahren ist er Seelsorger der Feuerwehr Stadt Luzern, begleitet Einsatzkräfte in belastenden Momenten. Nebenbei leitet er Kurse, in denen er Menschen befähigt, Sterbende und Angehörige zu begleiten.

Er gehört zur Feuerwehr. Doch er trägt keinen Helm, keine Einsatzjacke, klettert keine Leitern hoch und löscht keine Brände. Der ruhige Mann mit wachen Augen und freundlichem Gesicht ist Seelsorger der Feuerwehr Stadt Luzern. Er ist da, wenn Worte fehlen, wenn Bilder im Kopf bleiben oder wenn Fragen nach dem Sinn auftauchen. Fred Palm ist 66 Jahre alt, seit kurzem pensioniert – eigentlich. Doch der Ruhestand ist für ihn relativ. Für die letzten Jahre in seinem Berufsleben hat er nochmals eine neue Aufgabe gesucht. Die Arbeit im Auftrag der Reformierten Kirche Kanton Luzern bei der Feuerwehr Stadt Luzern und bei Bedarf in weiteren Regionen des Kantons Luzern war wie ein Geschenk. «Es war ein mutiger Wechsel, aber genau richtig», sagt er heute. Zuvor war er jahrzehntelang Regio-nalpfarrer im Kanton Bern. Dann, mit 60, wagte er den Schritt ins Unbekannte – zu Blaulicht, Alarm und Einsatz.

Begegnungen als etwas Unverfügbares

Als Feuerwehrseelsorger begleitet Palm die Angehörigen der Berufs- und Milizfeuerwehr nicht nur bei Einsätzen, sondern vor allem auch im Alltag. Er ist manchmal bei Übungen und Rapporten dabei, trinkt mit den Leuten einen Kaffee. «Es braucht Präsenz. Nur wenn man dazugehört, wird man im Ernstfall angefragt.» Besonders wichtig ist für ihn die Nachsorge. Nach schwierigen Einsätzen, etwa bei Bränden oder schweren Verkehrsunfällen mit Todesopfern, gibt es Gespräche mit den sogenannten Peers, speziell geschulten Feuerwehrleuten, welche die Kameradinnen und Kameraden auffangen. Palm ergänzt dieses System durch seine seelsorgerliche Perspektive. «Ich bin der, der von aussen kommt und nichts weiterträgt. Das schafft Vertrauen.»

Sterben gehört zum Leben, aber wir haben es vergessen.

Er weiss, dass Bilder von Einsätzen hängen bleiben können. Auch bei ihm. «Manchmal erlebe ich etwas, was mich begleitet. Aber ich habe gelernt, es nicht zu verdrängen. Ich vertraue darauf, dass es aufgehoben ist – in Gott und in der Gemeinschaft.» Palm spricht ruhig, fast beiläufig, über seinen Glauben. Er trägt ihn nicht vor sich her, aber er ist immer da. «Ich habe Respekt vor der Geschöpflichkeit. Ich erlebe Begegnungen als etwas Unverfügbares, das ich nicht machen kann. Es ist mir gegeben.» Dieser Blick hilft ihm, Menschen so zu nehmen, wie sie sind – egal ob gläubig oder nicht. Seelsorge ist für ihn vor allem Zuhören, Dasein, Begleiten.

Letzte Hilfe: Wir machen den Tod und das Sterben öffentlich

Nebst seiner Arbeit bei der Feuerwehr leitet Fred Palm auch die Kurse «Letzte Hilfe». Es geht darum, Menschen zu befähigen, Sterbende und Angehörige im letzten Lebensabschnitt zu begleiten. «Sterben gehört zum Leben, aber wir haben es vergessen», sagt Palm. In den Kursen spricht er darüber, wie man am Sterbebett da sein kann, wie man kleine Dinge tun kann – eine Hand halten, ein Glas Wasser reichen, einfach nicht weglaufen.

Die Motivation dafür kommt aus eigener Erfahrung. Palm hat seine Mutter, seinen Vater und seine Schwiegereltern in den Tod begleitet. «Das war manchmal schwer, aber auch eine tiefe, gute Zeit. Ich habe gelernt, dass ich nicht alles machen muss und kann. Dass es reicht, da zu sein.» Die Resonanz auf die Kurse ist gross. Viele Menschen sind dankbar, dass endlich einmal offen über Tod und Sterben gesprochen wird. «Wir machen den Tod und das Sterben öffentlich und holen die Themen aus der Tabuzone», sagt Palm.

Gelassenheit und Gartenarbeit erdet

Trotz aller Nähe zu Tod und Leid strahlt Fred Palm Gelassenheit aus. Er findet sie im Alltag, in der Natur, beim Kochen. Sein Garten ist sein Rückzugsort, dort buddelt er in der Erde, zieht Gemüse, pflückt Blumen. «Das erdet mich im wahrsten Sinne des Wortes.» Die Zeit mit der Familie gibt ihm Kraft. Seine Enkelin sei ein Geschenk, erzählt er.

Eigentlich ist Palm im Ruhestand. Doch er macht weiter – solange er gebraucht wird. «Ich habe keine Karriere mehr vor mir. Ich kann einfach geben, was ich habe.» Und wie wünscht er sich sein eigenes Sterben? «Am liebsten zu Hause, in Ruhe, mit den Menschen, die mir wichtig sind. Und mit der Gelassenheit, dass ich loslassen darf.»

 

Unsere Empfehlungen

Die Banalität des Bösen

Die Banalität des Bösen

Die politischen Katastrophen des 20. Jahrhunderts waren ihr Lebensthema. Hannah Arendt sah ihre Aufgabe als politische Denkerin darin, die Welt und die Menschen zu verstehen. Sie starb am 4. Dezember vor 50 Jahren.