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Experiment: Tamilisch für Anfänger

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01.01.2016
Wie muss es sein, wenn man plötzlich eine neue Sprache und Kultur kennenlernen muss? Der HEKS-Crash-Kurs «Sprachwechsel Tamilisch in drei Stunden» gab die Möglichkeit, diese Frage zu klären: ein Kulturschock mit Einsichtspotenzial.

Ich verstehe nur Bahnhof. Und das ist kein Wunder. Schliesslich sitze ich zusammen mit 25 weiteren Teilnehmenden in einem Crash-Kurs mit dem Titel «Ich verstehe nur Bahnhof Tamilisch in drei Stunden». Der Kurs wurde vom HEKS im Rahmen der Kampagne «Blickwechsel durch Sprachwechsel» angeboten.
Den ersten Schock oder Crash erzeugt die Schrift. Sie gleicht eher orientalischer Ornamentik denn einem je erlernbaren Alphabet. Wie in der Primarschule zeichnen wir Buchstaben, ungelenk wie damals, aber mit gleichem Eifer. Während aber unser Alphabet sich mit 26 Buchstaben genügsam zeigt, umfasst jenes in Tamilisch üppige 247 das logische Resultat aus der Kombination von zwölf Vokalen und 18 Konsonanten sowie einem Sonderzeichen. Zum Glück kommt das Tamilisch ohne Gross- und Kleinschreibung aus, dafür unterscheidet man lange und kurze Vokale, die ebenfalls zu neuen Buchstabenformen führen.
«Ammaa» heisst Mama, «appaa» bedeutet Papa. Das liesse sich ja noch gut merken. Doch mit den beiden Wörtern sind wir im Kurs beim Thema Verwandtschaftsverhältnisse angelangt. Und da gibt es wie beim Alphabet mindestens ebenso viele Varianten zu berücksichtigen. Denn die jüngere Schwester väterlicherseits heisst anders als die ältere. Bei uns sind beides schlicht Tanten. Dies zu wissen, lohnt sich, denn Familie, Verwandtschaft und Tradition haben einen hohen Stellenwert in Sri Lanka (und Indien, wo die meisten tamilisch sprechenden Menschen wohnen). Die Familienbande sind eng geregelt, gesellschaftliche Normen zahlreich. Was aber allem übergeordnet ist, ist der Respekt vor dem Gegenüber, erklärt unsere Lehrerin Jancy Rajeswaran (für Ausspracheübungen hat die Zeit nicht gereicht).
Die Schwester der Kursleiterin spielt uns auf der Geige traditionelle Musik vor. Sie zieht dazu die Schuhe aus und setzt sich auf den Boden. «Könnten Sie sich auf den Tisch setzen, damit wir in den hinteren Reihen auch etwas sehen können», fragt eine Kursteilnehmerin. Kann sie nicht, denn das Instrument muss am Boden sitzend gespielt werden, so verlangt es die Tradition. Fazit: Ich verstehe zwar immer noch nur Bahnhof, aber ich habe den Bahnhof etwas besser kennengelernt. Das wichtigste aber ist mein Respekt vor der Leistung jener Menschen, die zu uns kommen und das im Kurs selbst Erfahrene in umgekehrter Richtung bewältigen müssen. Schappo!

Franz Osswald

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