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«Ich bin ein Handwerker»

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01.01.2016
Ende Februar geht Pfarrer Viktor Berger in Pension. Viktor Bergers Seelsorge ist bekannt: seine schlichten und eindrücklichen Gottesdienst an Heiligabend ebenso wie seine einfühlsamen Bestattungen oder Kunstbetrachtungen und natürlich der Treffpunkt für Stellenlose. Durchwegs gutes «Handwerk».

«Stets im Dialog mit dem Leben zu stehen», so könnte man die Arbeit von Pfarrer Viktor Berger mit einem Satz umschreiben. Ein Motto, das sein Leben schon in seiner Jugend prägte. Viktor Berger war ein Arbeiterkind und gehörte zur Unterschicht. Sein Vater arbeitete als Elektriker, seine Mutter als Kürschnerin. «Wir mussten damals jeden Franken umdrehen», erzählt Berger. Der Pfarrer wählt seine Worte vorsichtig, überlegt lange, bevor er antwortet.
Schon früh stellte sich Viktor dem harten Leben eines Arbeiterkindes. Mit Erfolg: Viktor Berger bestand die Matura am MNG, dem Mathematisch-naturwissenschaftlichen Gymnasium. «Eine Statistik belegte damals, dass Kinder aus bildungsfernen Schichten am ehesten am MNG die Matura bestanden», berichtet Viktor Berger. Sein Lehrer hat ihm deshalb diesen Weg empfohlen. Er sollte recht behalten.

Bibel und Dick- und Doof-Filme
Doch Viktor Berger wurde kein Geograf oder Mathematiker, sondern Theologe. «Das lag an der Jugendarbeit im St. Johann. Ich verkehrte damals in der Stadtmission, aber auch in den Kirchgemeinden der Landeskirche. Dort war es Kindern aus armen Verhältnissen möglich, ein «Kultivierungsprogramm» zu geniessen. Eine Mischung aus biblischen Geschichten und Dick- und Doof-Filmen», fügt er mit einem Augenzwinkern an. «Die Jugendarbeiter und Pfarrer machten ihre Arbeit wunderbar.»
Nach der Matura lernte Viktor Berger an der Kirchlich-Theologischen Schule in Basel Hebräisch, Griechisch und Latein, absolvierte sein Studium, danach sein Vikariat bei Pfarrer Ulrich Katzenstein. Es folgte eine Vertretung in Birsfelden, eine Zeit, die Viktor Berger mit «lässig» qualifiziert. Die Teamarbeit gefiel ihm ausgezeichnet. Die Aufgaben, die er zu bewältigen hatte, seien schwierig und anspruchsvoll gewesen. «Ich weiss gar nicht, wie ich das geschafft habe. Eigentlich fühle ich mich erst heute dazu kompetent», stellt der bald 65-Jährige fest.
Ein Jahr pendelte er daraufhin zwischen der Elisabethengemeinde und Allschwil, wo er aufgrund zweier Vakanzen Vertretungen übernommen hatte. 1980 war es dann so weit, Viktor Berger wurde in der Elisabethenkirche als Pfarrer installiert. «Damals war ich der jüngste Pfarrer in Basel, heute bin ich der Doyen, der Älteste.» 37 Jahre stand Viktor Berger als Pfarrer im Dienste der Evangelisch-reformierten Kirche Basel-Stadt.

Gelebte Barmherzigkeit
Danach gefragt, was ihm in guter Erinnerung bleiben wird, nennt Viktor Berger den Treffpunkt für Stellenlose, dem er während 25 Jahren vorstand. Hier war der Dialog mit dem Leben aktueller denn je. Gefragt war an diesem Ort kein Bibelzitat, sagt Berger, sondern konkrete Lebenshilfe, zum Beispiel eine gute, warme Mahlzeit. «Ich habe unter den Stellenlosen viele starke Persönlichkeiten kennengelernt. Menschen, vor denen ich einen grossen Respekt empfinde.»
Von der Arbeit eines Pfarrers hat Viktor Berger eine genaue Vorstellung. Er stellt hohe Ansprüche, auch an sich selbst. Zufrieden mit seiner Arbeit ist Viktor Berger, wenn er selber gerne an den vorbereiteten Anlass gehen würde. «Eigentlich besteht die Arbeit eines Seelsorgers in der Qualität der gelebten Barmherzigkeit das Wort kommt von warmes Herz.» Es brauche dazu ein sorgfältiges Arbeiten, «so, wie ein guter Handwerker es macht», fügt Berger bei und bezeichnet sich selbst als «gewöhnlichen Handwerker». Als Pfarrer werde er vor ein Problem gestellt und müsse eine Lösung finden «eine brauchbare», so Berger. Bekannt für sein Handwerk sind beispielsweise die traditionellen Gottesdienste an Heiligabend. «Sie sind so, wie ich sie als Kind erlebt habe, schlicht und einfach gut.» Das möchte er weitergeben.
In einer der intensivsten Lebenssituationen eines Menschen kommt Viktor Bergers Sorgfalt besonders gut zum Tragen: bei Sterben und Tod. Er wisse nicht mehr, wie viele Beerdigungen er abgehalten habe. Allein die vollen Aktenschubladen mit den Notizen belegen, dass er in Basel wohl «der Bestatter» ist. Gerade bei einer Abdankung gelte es, zuhören zu können, «denn im Leben sind die Antworten zu finden, erarbeitet zusammen mit den Angehörigen». Und: «Eine Beerdigung sollte so gestaltet sein, dass der Verstorbene damit einverstanden sein könnte.»

15 Jahre Kunstbetrachtungen
Zusehen, zuhören, erspüren gilt auch für ein anderes Angebot von Berger: die Kunstbetrachtungen zu den Feiertagen. Das Wesen der Festtage im Kirchenjahr den Menschen anhand von Bildern und Künstlern näherzubringen, ist Sinn und Zweck des Anlasses. Viktor Berger blüht bei diesem Thema geradezu auf und legt einen Bildband von Giovanni Segantini auf den Tisch. Anhand des Zyklus «Werden Sein Vergehen» und dreier dazu gehörender Skizzen zeigt er, wie tiefgründig der Künstler das Thema behandelt hat. Beeindruckend auch Ferdinand Hodlers Bildreihe mit Motiven seiner todkranken Frau Valentine Godé-Darel und dem Sonnenaufgang, den er im Sterbezimmer nach Valentines Tod malte. «Seit 15 Jahren finden die Kunstbetrachtungen statt und sind immer voll belegt», sagt Viktor Berger mit berechtigtem Stolz.
In den fast vier Jahrzehnten als Pfarrer konnte sich Viktor auf sein gutes Gespür für andere verlassen. Etwa bei einem Besuch bei einer alten Frau in Riehen. Viktor Berger kam auf seinem Weg zu ihr an einem Stand mit Früchten und Beeren vorbei. Spontan entschied er sich, der betagten Frau Himbeeren mitzubringen, weil es ihm in diesem Moment passend erschien. Mit unglaublicher Freude und grossem Genuss habe die Frau die Beeren gegessen, erzählt Viktor Berger. Ihre Freude und ihren Dank formulierte sie mit einem einzigen Wort: «Himmlisch.» Es war ihre letzte Mahlzeit und ihr «himmlisch» wurde für sie Gewissheit. «Gibt es eine schönere Form von Seelsorge?», fragt Viktor Berger. Für einmal ist die Antwort nicht im Leben zu finden.

Franz Osswald

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