«Ich bin keiner, der lästert oder religiöse Gefühle verspottet»
«Kirchenbote»: Konservativ-katholische Kreise bewirkten zunächst die Verschiebung des Passionsspiels von 2013 auf 2014. Nun wurde es vor den Sommerferien ganz abgesagt. Lag das in Ihren Augen wirklich nur an den fehlenden finanziellen Mitteln?
Ich will mich da nicht auf Verschwörungstheorien einlassen: Ich weiss nicht, ob das der einzige Grund ist oder nicht. Mir war von Anfang an klar, dass es konservative Kirchenkreise gibt, die schon beim Namen Konstantin Wecker zusammenzucken wie vor dem Leibhaftigen.
Sie sind als Kirchenkritiker bekannt. Was Sie aber nicht abgehalten hat, voll Elan an dem Projekt «Passionsspiel» zu arbeiten gemeinsam mit Alois Metz, dem Leiter der Luzerner Pfarrei
St. Johannes.
Das machte es für mich gerade spannend. Ja, ich bin ein Kirchenkritiker, bin aus der Kirche ausgetreten. Ich bin aber keiner, der lästert, hetzt oder religiöse Gefühle verspottet.
Was für einen Jesus hätten denn die Zuschauer zu sehen bekommen?
Wir hatten uns vorgenommen, in der ganzen Passion keinen Jesus auftreten zu lassen, aber natürlich wäre es um ihn gegangen. Das klassische Jesusbild «Junger Mann mit langen Haaren und Bart», am besten noch blond und blauäugig, das widerstrebt mir. Eine Idee war, eine Theatergruppe zu nehmen, die Szenen aus der Passion nachspielt.
Welches Jesus-Bild haben Sie persönlich?
Ich bin ganz auf der Seite von Hans Küng und Eugen Drewermann, wenn es um den Mann aus Nazareth geht. Ich halte Jesus für eine überragende geschichtliche Persönlichkeit. Alle seine Aussagen sind revolutionär. Mit utopischen Gedanken wie «Liebe deine Feinde» oder mit seinem tätigen Mitgefühl brachte er es fertig, ein ganzes System ins Wanken zu bringen. Umso trauriger, was die Kirche daraus im Lauf der Jahrhunderte gemacht hat.
Was denn?
Es gibt viele Gründe, warum man kirchenkritisch sein kann, die muss ich jetzt nicht alle aufzählen. Mein Grund zum Austritt vor zwölf Jahren war das Verhältnis der katholischen Kirche und der Vatikanbank. Ich konnte die mafiösen Strukturen, die dort herrschten, nicht mehr mittragen. Jetzt hat sie der neue Papst, zu meiner grossen Verwunderung, offensichtlich zerschlagen wenn man das aus der Ferne beurteilen kann.
Wiederholt wurde der religiöse Charakter des Stücks als Grund für die Ablehnung von Finanzgesuchen genannt. Hat die heutige Gesellschaft kein Verständnis und keinen Platz mehr für religiöse Themen, die ausserhalb der Kirche behandelt werden?
Glauben Sie mir, wenn nicht der Berufsrevoluzzer Wecker dabei gewesen wäre, sondern das Ganze in einem streng katholischen, konventionellen Sinn gemacht worden wäre, hätte man Sponsoren gefunden.
Wie kommen Sie als aus der Kirche Ausgetretener überhaupt dazu, ein Passionsspiel zu verfassen?
Ich habe meinen Weg zurück zum Christentum über den Buddhismus gefunden. Dabei bin ich auf die Mystiker gestossen. Sie beeindrucken mich, weil sie nicht dogmatisch sind, sondern Religion «er-leben». Meister Ekkehardt ist darin so vorbildlich, dass ich mir vorstellen könnte, dass auch er ähnlich wie Eugen Drewermann in der katholischen Kirche seiner Funktion enthoben worden wäre. (lacht)
Dann würden Sie sich als religiösen Menschen bezeichnen?
Ja, wenn auch vielleicht nicht im klassischen Sinn. Als Intellektueller bin ich erstmal Agnostiker in manchen Fällen auch Atheist. Ich kann es nicht mehr hören, wenn jemand versucht mir zu erklären, was Gott will. Das ist ausgelutscht und gefährlich. Der eine verlangt, dass man sich einen Sprengstoffgürtel umschnallt, weil er meint, dass Gott das so will; der andere weiss, dass man Frauen schlagen muss ... Oft geht es dabei auch nur um Macht. Jede Form von orthodoxer Religion müsste eigentlich schon seit der Aufklärung vorbei sein.
Wo finden Sie Gott?
Wenn ich Mozart höre, weiss ich, dass ich ein religiöser Mensch bin. Ich spüre dann etwas, was ausserhalb unseres Wissens und unserer rationalen Möglichkeiten liegt. Anderen Menschen passiert das in der Meditation oder im intensiven Gebet.
Den Ausdruck «Wolke des Nichtwissens», den ein anonymer Mystiker geprägt hat, finde ich wunderschön. Auch das buddistische Nirwana ist ja kein «Nichts», sondern alles ausserhalb dessen, was wir uns vorstellen, denken oder rational erfassen können.
Sie haben beschrieben, wo Sie Spiritualität und Glauben erleben. Wie ist das andersherum: Zeigen Sie ihn im täglichen Leben?
In vielen meiner Lieder schlägt er sich nieder. Vor einem Jahr habe ich mit einem amerikanisch-jüdischen Zenmeister ein Buch geschrieben, in dem es um den Zusammenhang von politischem Engagement und Spiritualität geht. Wir kommen ohne Spiritualität nicht aus und können ohne sie keine gerechtere Gesellschaft schaffen.
Spiritualität ist für Sie also lebenswichtig?
Ich kann die Reduzierung auf das rein Materielle nicht akzeptieren. Allein darum war ich nie Marxist. Das Wunderbare auszuschliessen, um es mal poetisch auszudrücken das war nie meine Sache.
Beten Sie manchmal?
Ich habe kein Problem damit zu sagen, dass es Zeiten gibt, in denen ich heftig bete. In der Sekunde vor dem Flugzeugabsturz wird jeder religiös (lacht). Doch meine ich natürlich nicht nur diese Religiosität. Je älter ich werde, ist für mich die Kunst ein inspirierenderer Tempel als alle Kirchen der Welt.
Sind Sie inzwischen wieder in die Kirche eingetreten?
Nein, da müsste zuerst mal eine Päpstin her und die patriarchalen Strukturen müssten sich ändern. Das werde ich nicht mehr erleben. (lacht)
Dem Thema Passionsspiel bleiben Sie aber dennoch aufgeschlossen, falls es zu einem neuem Anlauf in Luzern käme?
Ja, sicher. Doch muss ich mir meine künstlerische Freiheit bewahren können.
Zur Person
Konstantin Wecker, 66, zählt zu den erfolgreichsten deutschen Liedermachern. Er schrieb Musicals, Filmmusiken, Kinderstücke, Bücher, arbeitet als Schauspieler. In vielen seiner Lieder setzt sich Wecker mit dem politischen Tagesgeschehen auseinander.
Interview: Annette Meyer zu Bargholz
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