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Dagmar Bertram, Pfarrerin in Stein am Rhein

«Ich kann nicht privat jemand anders sein als im Talar»

von Carmen Schirm-Gasser
min
25.09.2025
Ein Gespräch mit Pfarrerin Dagmar Bertram über Anfänge, Ankommen und den Süden als Herzensheimat.

Dagmar Bertram ist seit Mai Pfarrerin in Stein am Rhein. Die 55-Jährige ist im Harz aufgewachsen, hat in Göttingen und Montpellier studiert und war 14 Jahre lang Pfarrerin in Baden. Jetzt lebt sie mit ihrem Mann, ebenfalls Pfarrer im Ruhestand, in der Schweiz. Zwei erwachsene Kinder, 23 und 29 Jahre alt, gehören zur Familie.

Dagmar Bertram, wie sind Sie Pfarrerin geworden?

Ich stamme aus einer christlichen Familie, aber ohne besondere Prägung. Wir hatten Kindergottesdienst und Konfirmation, doch niemand hätte gedacht, dass ich Theologie studiere. Eigentlich wollte ich Lehrerin werden, für Französisch und Religion. Im Nachhinein war es wohl ein geführter Weg – ohne dass ich vorher geglaubt hätte, dass so etwas geht. Ich bin von höherer Stelle in diesen Beruf hineingeführt worden.

Gab es Personen, die Ihren Glauben besonders geprägt haben?

Ich gehöre nicht zu der Generation, die grosse Theologen verehrt hat. Ich habe sie natürlich gelesen – aber wirklich geprägt haben mich Menschen aus der Praxis: Kolleginnen, Kollegen und Gemeindemitglieder, die ihren Glauben im Alltag gelebt haben.

Wie haben Sie die ersten Wochen in Stein am Rhein erlebt?

Sehr herzlich. Schon beim Bewerbungsgespräch hatte ich das Gefühl: Hier ist gut sein. Kirchenstand, Gesamtgemeinde und Mitarbeitende haben mich freundlich aufgenommen.

Was hat Sie besonders angesprochen?

Dieses Gefühl des «Wir». Der Kirchenstand ist verlässlich, man spürt ein Miteinander, der Pfarrer darf mitmachen. Das ist nicht selbstverständlich.

Gab es Begegnungen, die Ihnen in Erinnerung blieben?

Ja, immer wieder. Menschen, die gar nicht so kirchennah sind, gewinnen im Gespräch auf einmal Kontur. Jemand spricht mich beim Bäcker an, ein anderer kommt nur zufällig in den Gottesdienst und bleibt danach für ein längeres Gespräch.

Sie haben lange in Deutschland gearbeitet. Warum der Schritt in die Schweiz?

Viele Menschen wissen, dass sie nicht im richtigen Körper geboren sind – ich wusste schon als Kind, dass ich nicht in der richtigen Gegend geboren bin. Ich gehöre in den Süden. Mit dem Norden können Sie mich nicht begeistern.

Ihr Mann ist mitgezogen?

Ja, tapfer. Er ist seit langem im Ruhestand, war selbst lange Pfarrer in Peru auf Mission. Wir überlegen immer gemeinsam, ob wir noch einmal umziehen. Dass er sich immer wieder aufmacht, schätze ich sehr.

Welche Schwerpunkte setzen Sie in Stein am Rhein?

Zuerst geht es ums Ankommen, darum, zu spüren, wie die Gemeinde tickt. Dann möchte ich die Kirche noch einladender machen. Darauf möchte ich meine Arbeit aufbauen und weiterentwickeln. Es ist schon vieles vorhanden. Viele Touristen besuchen sie – nicht nur als Monument, sondern auch als spirituellen Raum. Wir haben ein Gästebuch, in dem bewegende Einträge stehen. Das berührt mich.

In Ihrer Kirche steht ein Schaukelstuhl. Warum?

Wir haben ihn geliehen bekommen. Es geht nicht um GemĂĽtlichkeit, sondern darum, Zeit und Raum aus einer anderen Perspektive wahrzunehmen. Touristen setzen sich gern hinein, aber ich hoffe, dass auch Menschen aus Stein am Rhein ihn nutzen. Dazu liegen Bibeltexte als Impulse aus.

Wo wollen Sie Akzente setzen?

Wir kooperieren mit Nachbargemeinden, etwa in der Konfirmandenarbeit. Ich übernehme künftig auch Konfirmandinnen und Konfirmanden aus Ramsen und Buch, meine Kollegen aus der Gemeinde Burg teilen sich Gruppen mit mir. Wir müssen schauen, wo Zusammenarbeit möglich ist – und wo eine Gemeinde ihr eigenes Profil behalten soll.

Was bedeutet Ihnen Ihr Glaube persönlich?

Ich kann nicht privat jemand anders sein als im Talar. Der Glaube ist Teil meiner Persönlichkeit und meines Engagements. Friedensarbeit liegt mir besonders am Herzen – gerade in diesen Zeiten.

Gab es Phasen des Zweifelns?

Ich hatte das Glück, nie aus einem tiefen Glauben zu fallen. Auch in schwierigen Lebensabschnitten war ich immer mit dem Nötigen ausgestattet.

Begleitet Sie ein Bibelwort?

Ja, bei meiner Ordination im Braunschweiger Dom bekam ich den Vers aus Psalm 18: «Mit meinem Gott springe ich über Mauern.» Der begleitet mich bis heute.

Wie möchten Sie Menschen erreichen, die wenig Bezug zur Kirche haben?

Ich laufe niemandem hinterher. Wenn ein Gespräch gesucht wird oder sich ergibt, bin ich gern da und höre zu. Manchmal spürt man, dass jemand gar nicht genau weiss, was er oder sie braucht. Dann kann ich anbieten, als Pfarrerin da zu sein. Der persönliche Bezug oder im Zusammenwirken mit einer Gruppe ist mein Fokus. Grosse Programme oder Zeltmissionen liegen mir nicht.

Was tun Sie, wenn Sie nicht arbeiten?

Ich mache viel Sport: Joggen, Skilanglauf, Schwimmen. Seit kurzem bin ich Mitglied in einem lokalen Verein. Und ich bin seit einem halben Jahr hundefrei – das muss sich ändern.

Gibt es etwas, was Sie hier schon besonders schätzen?

Ja, die Landschaft. Der Rhein war immer Teil meiner Biografie, obwohl ich als Kind nie dort war. Die Höhri, die Weinberge – das ist für mich Süden. Und ich mag die aufgeschlossenen Menschen hier.

 

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