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Fokus: Gut oder nicht?

Ist der Mensch böse?

von Tilmann Zuber
min
22.04.2025
Seit jeher beschäftigt Religion und Philosophie die Frage: Ist der Mensch gut oder böse? Die christliche Botschaft verheisst, dass der Glaube an Jesus Christus den Weg zum Guten weist. Doch wie sieht dies in der Erziehung, dem Gefängnis, dem Beichtstuhl, der Forschung aus? Fünf Menschen erzählen.

Antwort von Hansueli Hauenstein, ehemaliger Gefängnisseelsorger:

«Für Rache ist Gott sei Dank kein Platz»

Meine 14 Jahre als Gefängnisseelsorger, in denen ich zum Teil mit schweren Jungs zu tun hatte, haben mir gezeigt, dass man davon ausgehen kann, dass der Mensch grundsätzlich böse ist. In uns allen sind Anlagen vorhanden, sich in bestimmten Situationen so zu verhalten, dass wir anderen oder uns selbst im Leben Schaden und Leid zufügen. Die am Anfang der Bibel formulierte Einsicht, das «Trachten des menschlichen Herzens» sei «böse von Jugend an», halte ich für realistisch. Unsere tief verwurzelten Bedürfnisse nach Macht, Geltung, Besitz, Befriedigung und Zuwendung sind ein ziemlich explosives Gemisch. Weiterlesen

 

Antwort von Birgit Hohnecker, Fachpsychologin für Neuropsychologie:

«Unser Gehirn nimmt auf, was wir ihm beibringen»

Warum ist der Mensch böse? Die Antwort ist komplex, aber ein entscheidender Faktor ist die Amygdala – eine mandelförmige Struktur in unserem Gehirn. Sie spielt eine zentrale Rolle in der emotionalen Bewertung von Situationen. Alle Informationen, die unser Gehirn erreichen, durchlaufen die Amygdala. Besonders in Momenten der Wut oder Aggression ist sie aktiv. Allerdings arbeitet sie nicht allein: Das Frontalhirn, speziell der präfrontale Kortex, ist dafür zuständig, Emotionen zu kontrollieren. Kleine Kinder können das noch nicht – sie schreien, weinen und handeln impulsiv. Weiterlesen

 

Antwort von Frank Urbaniok, forensischer Psychiater:

«10 Prozent zeigen ausgeprägtes egoistisches Verhalten»

Der Mensch ist weder gut noch böse. Jeder trägt zwei fundamentale Prinzipien in sich: die egoistische Selbstbehauptung und das Kooperationspotenzial. Während die egoistische Selbstbehauptung als Überlebensstrategie dient und oft mit Machtstreben oder sogar Gewalt verbunden ist, ermöglicht das Kooperationspotenzial komplexe soziale Strukturen, Staaten und Religionen. Als Menschen beherrschen wir das schmutzige Instrumentarium sehr, sehr gut. Weiterlesen

 

Antwort von Anja Meier, Pädagogin Pro Juventute:

«Jeder hat positive Eigenschaften»

Pro Juventute ist überzeugt, dass jeder Mensch von Natur aus positive Eigenschaften besitzt und ein Grundbedürfnis nach Sicherheit, Zugehörigkeit und Anerkennung hat. Menschen werden nicht als gut oder böse geboren, sondern durch Beziehungen und Erfahrungen geprägt. Damit Kinder und Jugendliche gesund aufwachsen und ein Werteverständnis entwickeln können, benötigen sie Orientierung und Vorbilder. Diese bieten Halt und helfen, einen moralischen Kompass zu entwickeln. Weiterlesen

 

Antwort von Pater Philipp, Beichtvater im Kloster Einsiedeln:

«Vergebung schenkt Frieden»

Beichtgespräche widerspiegeln für mich die ganze menschliche Realität. Ich habe grosse Achtung vor Menschen, die sich in der Beichte von ihrer schwachen und verletzlichen Seite zeigen. Wenn die Leute zu mir kommen, darf das ganze Leben vor Gott ungeschönt zum Ausdruck kommen. Wer mit beiden Füssen auf dem Boden steht, wird über die Beichten nicht so schnell überrascht sein. Die Bibel zeichnet ein schonungslos realistisches Bild des Menschen: Mord und Totschlag, Eifersucht, Betrug. Wenn ich das Alte Testament aufschlage, begegnen mir viele biblische Figuren mit schuldbeladener Geschichte. Auch die vermeintlichen Helden haben selten eine reine Weste. Weiterlesen

 

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