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Kirchenleute provozieren in der Asylfrage mit uralten christlichen Ideen

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01.01.2016
Freies Niederlassungsrecht für alle fordert die Gruppe «KircheNordSüdUntenLinks». Theologisch begründet will sie mit ihrer Migrationscharta in erster Linie Kirchenleute dazu bewegen, sich für eine neue Migrationspolitik einzusetzen.

Die Kirchen in der Schweiz sollen sich «mit geeinter Stimme unmissverständlich» äussern, schreibt die Gruppe «KircheNordSüdUntenLinks» in ihrer am 26. August vorgestellten Migrationscharta. Darin fordert sie eine neue Migrationspolitik, in deren Zentrum drei Grundrechte stehen sollen: das Recht auf freie Niederlassung, das Recht auf Asyl und das Recht auf Sicherung der Existenz.

Die «Einfeurer der Angst» vor Flüchtlingen redeten sehr hart und mediengewandt da könne man als religiöser Mensch nicht einfach still sein, sagte Andreas Nufer an der Medienkonferenz zur Migrationscharta. Der Pfarrer der Offenen Kirche Heiliggeist in Bern ist einer der Initianten. Die Gruppe von katholischen und reformierten Theologen und Engagierten in sozialen Bewegungen sieht das Recht der freien Niederlassung als Bedingung, dass auch «die Kleinen und Bedrohten in Würde» migrieren könnten. Zudem gebe es in der jüdisch-christlichen Tradition gar eine Pflicht zur Migration. Nämlich dann, wenn sie den Auszug aus unterdrückerischen Verhältnissen bedeute.

Rechte und Pflichten
Den Verfasserinnen und Verfassern der Charta ist klar: Fertige Lösungen haben auch die Kirchen nicht. Und mit dem Recht auf freie Niederlassung gehe auch eine Pflicht der Migrierenden einher: Sie hätten die Identität der Menschen und das Gemeinwesen dort anzuerkennen, wo sie sich niederliessen. Zudem müsste das mit der Niederlassungsfreiheit verbundene Recht auf Arbeit durch flankierende Massnahmen abgefedert sein, sagte Andreas Nufer: «Damit beispielsweise Lohndumping unterbunden werden kann, braucht es Gesamtarbeitsverträge und eine Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften.»

Die drei Grundrechte in der Charta leitet die Gruppe ebenfalls aus drei biblisch-theologischen Grundsätzen ab:
- Alle Menschen sind gleich: Aus biblischer Sicht dürften Menschen nicht kategorisiert werden in wirtschaftliche Nützlichkeit, kulturelle Nähe, Herkunft oder Geschlecht.
- Die Gerechtigkeit leitet: Migration werde nicht zuletzt auch durch Wirtschaftspolitik und nicht-nachhaltigen Lebensstil verursacht. Gerechtigkeit hingegen würde Leben ermöglichen und Existenz garantieren.
- Die Solidarität entscheidet: Solidarität als Übersetzung des biblischen Wortes Liebe meine die Verantwortung für das Gemeinwesen und das Einstehen für die Rechte und Interessen der anderen.

Diskussion mit der Basis
Die Grundsätze und -rechte seien wichtig, müssten aber «beseelt» werden, regen die Initianten der Migrationscharta an. Schliesslich pflegten in der Schweiz Kirchen, Hilfswerke, Gemeinden, Gruppen und einzelne Engagierte bereits eine lange Tradition der Gastfreundschaft. Diese gelte es fruchtbar zu machen und auszubauen zu einer lebendigen und sichtbaren «Willkommenskultur». Für Andreas Nufer ist klar, dass es dazu innerhalb der Kirche andere Meinungen gibt: «Spannend wäre deshalb jetzt vor allem eine Diskussion mit der Basis, den Leuten in den Kirchgemeinden.»

Der Rat des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbundes (SEK) nimmt gemäss Mediensprecherin Anne Durrer zu den Forderungen der Charta nicht direkt Stellung. Sie betont aber, dass sich Vertreterinnen und Vertreter der Kirche schon lange in Migrationsfragen engagierten und kämpften gegen die Verschärfungen im Asylwesen, fürs Recht auf Asyl und für eine bessere Willkommenskultur. «Die Kirchenleute machen bereits sehr viel aber still und ohne es an die grosse Glocke zu hängen.» Die Forderung nach dem Recht auf freie Niederlassung sei zwar eine «idealistische Vorstellung, aber auch eine interessante Idee», sagt Durrer: «Es ist sicher eine Anregung, die Asylpolitik zu überdenken.»


Dieser Artikel stammt aus der Online-Kooperation von «reformiert.», «Interkantonaler Kirchenbote» und «ref.ch».


Charta und Grundsatztext in der Diskussion
Unterlagen zur Migrationscharta sind online verfügbar. Auf migrationscharta.ch oder neuemigrationspolitik.ch gibt es die Charta im Wortlaut und als PDF. Wer sich weiter in die Hintergründe vertiefen will, kann das mit dem ebenfalls zur Verfügung stehenden 20-seitigen Grundsatztext tun.
Die Charta ist Thema der Diskussionssendung «Forum» auf Radio SRF 1 am Donnerstag, 27. August 2015 um 20 Uhr.


Zum Bild: Mit ihrer Migrationscharta fordern sie auch flankierende Massnahmen im hiesigen Arbeitsmarkt: Andreas Nufer, Matthias Hui und Verena Mühlethaler von der Gruppe «KircheNordSüdUntenLinks».
Marius Schären / reformiert.info

Marius Schären / reformiert.info / 26. August 2015

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