«Musik ist Gottes Idee »
Wenn Franz Mohr aus seinem Leben erzählt, klingt es wie das «Who is Who» der Starpianisten des letzten Jahrhunderts. Mohr begleitete Wladimir Horowitz auf dessen Konzerttouren, stimmte den Flügel für Arthur Rubinstein und von Rudolf Serkin oder half dem genialen Glenn Gould, den gewünschten Anschlag zu finden. Franz Mohr war drei Jahrzehnte lang als Chef-Konzerttechniker bei Steinway & Sons in New York. Wie kein anderer stand er den Starpianisten nahe und arbeitete in den berühmtesten Konzerthallen. «Ich spielte mehr in der Carnegie Hall als irgendjemand anders», erzählt Franz Mohr. Wenn er vor einem Konzert alleine auf der Bühne am Flügel sass, konnte man ihn für einen grossen Virtuosen halten. «Aber niemand hörte mir zu», schmunzelt er über das Schicksal eines Klavierstimmers. Der 86-jährige Mohr trauert dem nicht nach. Er ist überzeugt, dass Gott dies für ihn vorgesehen hatte. Schliesslich habe er ihn ja auch mit einem guten Gehör gesegnet.
Horowitz Wutanfälle und die Genialität von Glenn Gould
Eigentlich wollte Franz Mohr Geiger werden. Eine chronische Sehnenscheidenentzündung zwingt ihn, seine Karriere mit 24 Jahren abzubrechen. Mohr wird Klavierstimmer. 1962 wandert er mit seiner Frau Elisabeth nach Amerika aus, um die Stelle bei Steinway & Sohn anzutreten. Rasch steigt er zum Chef-Konzerttechniker auf und verhilft den Pianisten zum richtigen Anschlag und Ton.
Der Umgang mit den Künstlern verlangt von Mohr unendliches Fingerspitzengefühl. Er erlebt die Tobsuchtsanfälle von Horowitz und die Spleens und Genialitäten von Glenn Gould. Gould kam mit einem schwarzen Müllsack, in dem er seine Utensilien und Kleider aufbewahrte, zu den Proben oder zum Konzert und montierte seinen alten quietschenden Klavierstuhl zusammen. Dann zog er sich die Schuhe aus und legte sie mit den Sohlen nach oben auf die Bühne. Der Dirigent George Szell weigerte sich zunächst, mit diesem Landstreicher zusammenzuspielen.
Franz Mohr versteht die Künstler, die unter einem enormen Druck stehen. «Das ist der einsamste Platz der Welt», habe ihm einmal Wladimir Horowitz gesagt, bevor er die Bühne betrat, erzählt Mohr. Der Konzerttechniker kam den Künstlern nahe und sprach mit ihnen auch über den Glauben. Glenn Gould beispielsweise erklärte ihm, dass Gott in Bachs Werk sein Wort in Musik umgesetzt habe. Auch für Mohr hat die Musik
ihren Ursprung in Gott. «Musik ist Gottes Idee», fügt er hinzu. Über seine Begegnungen mit den grossen Pianisten hat er zahlreiche Bücher geschrieben.
Wenn der 86-Jährige auf sein Leben zurückblickt, ist er überzeugt, dass Gott dies für ihn vorgesehen hat. Für einen Christen gibt es keine grössere Freude, als Gottes Plan zu erfüllen, erklärt der Baptist. «Das bedeutet für mich ein erfülltes Leben.» Zum Glauben gefunden hat er durch einen englischen Prediger. 1944 erlebte Franz Mohr einen schweren Luftangriff auf seine Heimatstadt Düren, bei dem Tausende starben. Im Bombenhagel, der ihr Haus zerstörte, kam auch sein Bruder ums Leben. Franz war traumatisiert. Er war überzeugt, dass es keinen Gott gibt. Denn ein Gott würde solches Leid nicht zulassen.
Später gewann er die Einsicht, dass nicht Gott Vernichtung und Krieg bringe, sondern der Mensch. Für ihn bedeutete das Evangelium eine Befreiung von seiner Verzweiflung. Um seine Überzeugung weiterzugeben, tritt der 86-Jährige auch heute noch in Kirchen auf.
Franz Mohr, Beat Rink, «Am Anschlag der grossen Maestros», Verlag Brunnen
Tilmann Zuber
«Musik ist Gottes Idee »