«Musik öffnet Räume, wo Worte fehlen»
Fast 130 Stimmen erklingen im Kirchgemeindesaal der Lukaskirche Luzern, erst noch vorsichtig, dann immer kraftvoller: «We’ve come a long way.» Für den künstlerischen Leiter Bernhard Furchner ist es mehr als bloss ein Auftakt. «Es ist ein Bekenntnis. Wir alle sind von weit hergekommen – das verbindet uns», sagt er.
2009 ist der Chor der Nationen Luzern erstmals an der Woche der Religionen in Luzern aufgetreten, seither ist er fester Bestandteil. Ursprünglich geht die Idee des Chors der Nationen zurück auf das Jahr 2006: Damals bat das Integrationsamt Solothurn den Musiker und Lehrer Bernhard Furchner, ein Pilotprojekt zu entwickeln, das Integration durch gemeinsames Singen ermöglicht. Furchner griff die Idee auf – und legte den Grundstein für mittlerweile sechs Chöre der Nationen in der Schweiz.
Gemeinsamer Klang, der berührt
In Luzern ist daraus eine feste Gemeinschaft gewachsen: Rund 100 Menschen aus mehr als 30 Nationen treffen sich Woche für Woche zur Probe. Die Spannweite reicht von 17 bis 80 Jahren, von professionellen Musikerinnen bis zu Menschen, die noch nie in einem Chor gesungen haben. «Das Besondere ist das Miteinander. Jede und jeder bringt die eigene Sprache, Geschichte und Musikalität mit. Daraus entsteht ein gemeinsamer Klang, der tief berührt», sagt Furchner. Dass auch Spannungen auftreten, ist für ihn normal. «Aber wir nehmen Anteil, hören einander zu. Musik öffnet Räume, wo Worte fehlen.»
Für Furchner selbst ist das auch ein Ausdruck seines Glaubens: «Ich vertraue darauf, dass Gott in der Vielfalt wirkt und Gemeinschaft stiftet – auch dort, wo Unterschiede sichtbar sind.» Im Chor werden Freundschaften geschlossen, die über den Chor hinausgehen. Für viele Mitglieder eröffnet er neue Welten. Viele lernten in den Proben mehr über sich selbst und kulturelle Prägung als durch Bücher oder auf Reisen, weiss Furchner.
Mehr als ein musikalisches Projekt
Der Chor der Nationen Luzern gehört fest zum Programm der Wochen der Religionen in Luzern. Das Repertoire, das am 16. November im KKL präsentiert wird, haben die Sängerinnen und Sänger selbst ausgewählt: 16 ihrer Lieblingslieder aus den vergangenen Jahren. Darunter sind Stücke wie «Prayer of the Mothers» von Jael Deckelbaum, in einer Fassung, die Frauen- und Männerstimmen vereint, umgeschrieben von Furchner, oder traditionelle Lieder aus Afrika, Südamerika und Europa. «Es sind lauter Liedperlen», schwärmt der musikalische Leiter. Neu ist, dass der Chor einfache Bewegungen und Choreografien einführt.
Dass der Chor längst mehr ist als ein musikalisches Projekt, spüren alle Beteiligten. Viele finden hier Freunde, Heimat, manchmal sogar Familie. Für die einen ist es ein Stück Integration, für die anderen eine Horizonterweiterung. Was wie eine künstlerische Spielerei wirkt, hat gesellschaftliche Bedeutung. «Wir leben in einer Zeit, in der die Polarisierung zunimmt. Religion, Herkunft, Hautfarbe – all das wird oft genutzt, um Gräben zu ziehen», sagt Furchner. «Unser Chor zeigt, dass Vielfalt keine Bedrohung ist, sondern ein Reichtum.»
Doch er verschweigt auch nicht, dass es Grenzen gibt: «Wir leben Integration bis in den Alltag hinein. Aber wir sind eine bewegende Chorkultur mit Orchester.» Gerade darin liegt die Stärke: Menschen begegnen sich auf Augenhöhe, ohne Zwang, ohne Stempel. Dankbar ist er den Kirchen und allen fördernden Organisationen, die den Proberaum zur Verfügung stellen und auch darüber hinaus den Chor unterstützen.
Und dann senkt sich wieder eine besondere Stimmung über den Saal der Lukaskirche. Zum Schluss der Proben stimmt der Chor ein südafrikanisches Lied an: «Shosholoza». «Komm, wir packen es an! Wir gehen vorwärts. Wir arbeiten zusammen.» Es klingt wie ein Vermächtnis – und wie eine Einladung zugleich.
Der Chor der Nationen tritt im Rahmen der Woche der Religionen Luzern unter dem Motto «We’ve come a long way» auf am Sonntag, 16. November, um 11 Uhr im KKL Luzern.
Tickets unter: www.kkl-luzern.ch
«Musik öffnet Räume, wo Worte fehlen»