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Pianist Attilio Wichert: 4 Minuten 33 Sekunden Stille

min
01.01.2016
Stille ist ein kostbares Gut. So wollte der amerikanische Komponist John Cage sein 1952 in Woodstock erstmals aufgeführtes «stilles Stück», heute unter dem Titel «4'33''» bekannt, als Experiment verstanden wissen. Der Pianist Attilio Wichert löste mit «4'33''» im Kloster Einsiedeln totale Konsternation aus.

Cage bleibt nicht der einzige Komponist der Moderne, der sich mit Stille auseinandersetzte. Das Fiasko, das «433» seinerzeit in Einsiedeln provozierte, hielt Pianist Attilio Wichert indes nicht ab, immer wieder zeitgenössische Musik in seine Konzertprogramme aufzunehmen. Er tut dies bis heute. Gerade unlängst an einem Klavierabend im Rittersaal des Schlosses Rapperswil, wo neben einer Komposition von Arvo Pärt auch eine der Russin Galina Ustwolskjaja zwischen Janacek, Chopin und Liszt Akzente setzte.
Attilio Wichert hatte als langjähriger Musikpädagoge an der Kantonsschule Ausserschwyz niemals Berührungsängste mit völlig anderer Musik. Er besuchte mit seinen Schülern seinerzeit genauso die Cage-Oper «Europera» an den Zürcher Musikfestwochen wie etwa die Hauptprobe eines ländlichen Operettenvereins. Wohl gerade wegen seiner Offenheit gegenüber Musikstilen empfand Wichert die Reaktionen auf Cages «433» in Einsiedeln besonders krass. Die Kritik eines Musikpädagogen des dortigen Gymnasiums in der lokalen Presse war ein arger Verriss. Wichert hätte sich gefreut, wenn statt dessen ein Dialog entstanden wäre. Er ist sich heute bewusst, dass damals nicht alle gespielten Stücke ausgereift waren.
Attilio Wichert erinnert sich ans Räuspern und Stühle-Rücken während der Stille, an das verstörte Blicke-Tauschen, aber ebenso an den Gesang eines Vogels, der in den Saal drang. Der zeigte keinerlei Reaktion, als der Pädagoge rauslief und wütend die Türe zuknallte. Rückblickend resümiert Katholik Wichert: «Die katholischen Kleriker haben Mühe mit der Stille. Die Messe ist ein dauerndes Auf und Ab, immer wieder Text, Gesang und Bimmeln, kaum Raum für Andacht. So verwundert die negative Kritik in der Presse von damals nicht. Sie verriet den Kritiker nicht als Musikwissenschafter, sondern als frustrierten Musikliebhaber, der diese Art Musik nicht einordnen konnte. Cage empfand er als bedeutungslos.»


Zum Bild: 4 Minuten Stille: Attilio Wichert erinnert sich an die Blicke. | utopia-photography

Betty Peter

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