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Roland Hermann: «Für mich ist Bewegung laut»

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01.01.2016
Roland Hermann ist gehörlos. Trotzdem ist seine Welt nicht still. Er setzt sich dafür ein, dass Gehörlose und Hörende einander verstehen lernen. Auch wenn sie verschiedene Sprachen sprechen.

Roland Hermann kam gehörlos zur Welt. Er ist mit der Gebärdensprache gross geworden. Seine Zweitsprache ist Deutsch. Nicht zu hören, bedeute auch das Schärfen anderer Sinne. So würden viele Gehörlose über ein grösseres Blickfeld verfügen als Hörende. «Wir nehmen über die Augen und den Spürsinn wahr, was andere hören.» Den Alltagslärm, unter dem Hörende oft leiden, nimmt er durch visuelle Eindrücke wahr. «Für mich ist Bewegung laut. Wenn sie chaotisch ist, empfinde ich sie als störend», erzählt er. Seine Welt besteht nicht aus Stille. «Es gibt in mir eine Art von Stille, die ich als Ruhe bezeichne.» Diese Ruhe finde er zum Beispiel im Wald. Wenn der Wind die Blätter an den Bäumen bewege, nehme er das als harmonische Bewegung wahr. «Das ist für mich Seelennahrung, die stärkt.» Die Grenze zwischen Ruhe und Lärm sei fliessend. «Wenn ich aufgeregt bin, ist es nicht still in mir», sagt er.
Roland Hermann arbeitet auf dem Flughafen Zürich als Schweisser. Das Dröhnen der Flugzeugmotoren spürt er intensiv im ganzen Körper. Ebenso die Vibration von Musik über einen grossen Klangkörper. «Wir Gehörlosen können alles erleben», sagt er, «es ist immer eine Frage des Zugangs.» Der Instinkt sei durch ein inneres Gewahrsein für das, was grade passiert, ausgeprägter.
Roland Hermann engagiert sich für eine bessere Kommunikation zwischen Gehörlosen und Hörenden. Die gesprochene Sprache erschliesse sich über das Hören. Die Gebärdensprache hingegen werde visuell aufgenommen. Daher lerne ein gehörloses Kind die Welt durch diese Sprache kennen. In der Gebärdensprache sei es dann auch möglich, sich uneingeschränkt auszudrücken. Es brauche die Sensibilisierung im Alltag, um Berührungsängste abzubauen. Ein gutes Beispiel dafür seien Gottesdienste, die von Dolmetschern direkt in die Gebärdensprache übersetzt werden. Miteinander kommunizieren könne man aber auch so. «Verständigung ist möglich, wenn Offenheit als gemeinsame Sprache dient», sagt Roland Hermann.


Zum Bild: Roland Hermann: «Es gibt in mir eine Art von Stille, die ich als Ruhe bezeichne.»|Leutert

as

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