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Tot und dann?

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01.01.2016
Alle Religionen betonen, dass es ein Jenseits gibt. Doch bei der Frage, wie dieses aussieht, scheiden sich die Geister. Ein Bericht über die Spurensuche nach dem Jenseits, das so ganz dies­seitig scheint.

«Gekreuzigt, gestorben und auferstanden» An Ostern werden Millionen Christen und Christinnen weltweit die Auferstehung ihres Herrn feiern. Doch wenn es um die eigene Existenz im Jenseits geht, sind Herr und Frau Schweizer etwas unentschlossen oder gar desillusioniert. In einer repräsentativen Umfrage, die der Kirchenbote und vier andere reformierte Mitgliederzeitungen 2006 durchführten, gaben 24 Prozent an, mit dem Tod sei alles aus. 25,6 Prozent der Befragten antworteten, das nicht zu wissen oder sich keine Gedanken darüber zu machen. Lediglich 13,7 Prozent rechnen mit einem Paradies, Himmel oder ewigen Leben. 8,7 Prozent glauben an die Reinkarnation, während 11,4 Prozent davon überzeugt sind, dass es irgendwie nach dem Tod weitergehen werde.

Religionen setzten auf ein Jenseits
Auch wenn die Interpretation solcher Zahlen heikel ist wer will schon am Telefon Auskunft über sein jenseitiges Leben geben, so zeigt die Umfrage: Die Antworten auf die Frage nach den letzten Dingen fallen sehr unterschiedlich aus. Ein Grossteil rechnet sogar damit, dass es nach dem Tode aus ist.
Das ist umso erstaunlicher, da die grossen monotheistischen Religionen den Glauben an eine Existenz nach dem Tode und die Ewigkeit teilen: In der hochkomplexen Götterwelt des Hinduismus taucht man ein in den ewigen Kreislauf der Wiedergeburt. In zahlreichen Höllen warten die Übeltäter auf die endgültige Erlösung.
Der Buddhismus greift die Glaubensvorstellung vom Rad der Wiedergeburt auf. Die Befreiung liegt im Nirvana, dem Ende alles Leids. Dort herrschen die Erlösung und der ersehnte Friede. Doch bis dahin ist es ein langer Kreislauf von Geboren werden und Sterben, bis es einem gelingt, die Begierde, Zorn und Verblendung hinter sich zu lassen.
In den Buchreligionen des Vorderen Orients und der westlichen Welt ist der Weg ins Jenseits geradlinig. Das Judentum geht zunächst von zwei verschiedenen Auffassungen aus: Der Mensch stirbt mit Leib und Seele und wird in der messianischen Zeit leiblich auferstehen (Daniel 12,2). Oder die reine Seele kehrt nach dem Tod direkt zu Gott zurück.
Die Jesusanhänger setzen an diesen Überlieferungen an. Hinzu kommt jedoch eine eschatologische und apokalyptische Dimension: Die Toten werden auferstehen, und am Ende der Zeit findet das Jüngste Gericht statt. Dort, so Jesus im Neuen Testament, werden alle auf die Gnade angewiesen sein. «Denn eher werde ein Kamel durch ein Nadelöhr schlüpfen, als dass ein Reicher ins Himmelreich komme.» Als die Jünger erschrecken, fügt Jesus hinzu: «Bei den Menschen ist es unmöglich, aber nicht bei Gott; denn alles ist möglich bei Gott.» (Mk 10,2627)

Skorpionenstiche und Disteln für die Hungrigen
Solche Bibelstellen über die Auferstehung, das Paradies oder die Hölle werden gerade in der Volksfrömmigkeit des Mittelalters zum dominierenden Thema. Wäh­rend draussen Kriege, Seuchen und die Pest tobten, wurde von der Kanzel das Höllenfeuer und das Paradies verkündet. Heerscharen von Künstlern hielten ihre Visionen des Fegefeuers, der Verdammnis oder der Erlösung fest. Die Bilder prägten über Jahrhunderte die kirchlichen Dogmen und das christliche Leben. Nicht das Hier und Jetzt, das «irdische Jammertal» war entscheidend, sondern das ewige Leben im Schoss der Heiligen.
Auch im Islam spielt das Jüngste Gericht eine entscheidende Rolle: Dort erfolgt die Zuweisung ins Paradies oder die Hölle. Konkret hält der Koran fest, wie die Gläubigen auf kostbaren Teppichen im Kreis guter Speisen und schöner Jungfrauen sitzen (Sure 56), während die Ungläubigen «Disteln, für ihren Hunger» erhalten und von «Skorpionen gebissen werden».
Im zwanzigsten Jahrhundert lösen sich die Grenzen zwischen den Religionen auf, auch im Bezug auf die Jenseitsvorstellungen. Mehr und mehr Christen verbinden die christliche Ethik mit der buddhistischen Vorstellung der Reinkarnation, mit Esoterik oder der Parapsychologie. In den siebziger Jahren erregen die Sterbeforschung und Berichte über Nahtoderfahrungen das Interesse der breiten Öffentlichkeit.
Umfragen zeigten, dass zwischen vier und fünf Prozent der Bevölkerung in den USA und Westeuropa an der Grenze zum Tod ein helles Licht am Ende eines Tunnels und Lichtwesen sahen oder spürten, wie ihr Körper davonsegelte. Die Bücher von Raymond Moody, der akribisch solche Berichte sammelte, wurden zu Bestsellern. Sie schienen zu bestätigen, was die Religionen schon immer verkündeten: Es gibt ein Leben nach dem Tode.

Auf Lichtgeschwindigkeit beschleunigt
In den letzten Jahren erhielt der Glaube von der Wissenschaft Schützenhilfe, vorab von der Physik. Die Quantenphysik verbindet das Materielle und das «Geistige» mit Hilfe der Relativitätstheorie. In seinen Theorien versucht der Physikprofessor Markolf Niemz Nahtoderfahungen, Auferstehungshoffnung und Quantenphysik miteinander zu verknüpfen. Wenn der Wissenschaftler schreibt, dass beim Tod die Seele mit Lichtgeschwindigkeit davonkatapultiert werde, beschleicht einen der Verdacht, dass hier Wissenschaft zur Theologie wird.
Vieles bleibt nach wie vor im Dunkeln. Nur eines ist sicher: Das Leben kennt eine Grenze, den Tod. Danach beginnt der Glaube.

Tilmann Zuber

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