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Fokus: Ist der Mensch böse?

«Unser Gehirn nimmt auf, was wir ihm beibringen»

von Aufgezeichnet von Carole Bolliger
min
08.04.2025
Fokus: Ist der Mensch böse? Antwort von Birgit Hohnecker, Fachpsychologin für Neuropsychologie.

Warum ist der Mensch böse? Die Antwort ist komplex, aber ein entscheidender Faktor ist die Amygdala – eine mandelförmige Struktur in unserem Gehirn. Sie spielt eine zentrale Rolle in der emotionalen Bewertung von Situationen. Alle Informationen, die unser Gehirn erreichen, durchlaufen die Amygdala. Besonders in Momenten der Wut oder Aggression ist sie aktiv. Allerdings arbeitet sie nicht allein: Das Frontalhirn, speziell der präfrontale Kortex, ist dafür zuständig, Emotionen zu kontrollieren. Kleine Kinder können das noch nicht – sie schreien, weinen und handeln impulsiv.

Ein wichtiger Aspekt, der uns davon abhält, unkontrolliert böse oder gewalttätig zu handeln, ist die Angst vor Konsequenzen.

Ich stehle nicht, ich morde nicht – weil ich weiss, dass es Folgen hat. Doch es gibt Menschen, etwa Psychopathen, die diese Angst kaum oder gar nicht empfinden. Sie können über die Gefühle anderer hinweggehen, ohne Reue oder Schuld zu empfinden. Die genaue neurobiologische Grundlage dieser fehlenden Angst ist noch nicht vollständig erforscht.

Unser Gehirn ist nicht darauf programmiert, Grausamkeit als Normalität anzusehen – es kommt darauf an, welche Werte und Normen uns vermittelt werden. Ein Beispiel: Ein Kind, das in einer stabilen Gesellschaft aufwächst, lernt, dass Töten nicht in Ordnung ist. Doch was passiert, wenn ein Kind in einem Kriegsgebiet aufwächst? Wenn es erlebt, wie seine Familie ermordet wird? Das Gehirn dieses Kindes lernt, dass Überleben das höchste Ziel ist – und dass es manchmal bedeutet, den ersten Schuss abzugeben. Gewalt entsteht hier nicht aus Bosheit, sondern aus einem erlernten Überlebensmechanismus.

Lernen geschieht im Gehirn durch die Verbindung von Nervenzellen. Je häufiger eine Verbindung genutzt wird, desto stärker wird sie. Wer immer impulsiv reagiert, trainiert sein Gehirn darauf. Um etwas zu verändern, muss man bewusst gegensteuern – so lange, bis das neue Verhalten zur Routine wird:

Wenn wir etwas 1000-mal auf eine Art gemacht haben, müssen wir es mindestens 1001-mal anders machen, um die Verbindung der Nervenzellen umzupolen.

Resozialisierung kann funktionieren – muss aber nicht. Es erfordert einen enormen Aufwand von allen Seiten. Besonders schwierig ist es, wenn prägende Erfahrungen sehr früh im Leben gemacht wurden. Unser Gedächtnis entwickelt sich erst ab drei bis vier Jahren – doch Emotionen werden schon vorher gespeichert. Je früher eine traumatische Erfahrung gemacht wurde, desto schwieriger ist es, sie umzuprogrammieren. Trotzdem ist Veränderung möglich – aber sie erfordert Zeit, Training und bewusste Entscheidungen.

Letztlich bleibt die Frage: Ist der Mensch böse? Die Antwort lautet: Nein, nicht per se. Unser Gehirn ist ein Lernorgan. Es nimmt auf, was wir ihm beibringen. Gewalt und Bosheit sind keine festen Bestandteile unseres Wesens – sie sind oft das Ergebnis von Erfahrungen, Erziehung und Umwelt.

 

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