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Gedenkanlass

Unvergessen: Das Pogrom gegen Jüdinnen und Juden in Basel 1349

von Vera Rüttimann
min
01.02.2024
Am 16. Januar 1349 wurden auf einer Insel im Rhein die meisten Mitglieder der ersten Jüdischen Gemeinde Basel verbrannt. 2024 jährt sich dieses Ereignis zum 675. Mal. Im Grossratssaal in Basel kam es zu einem bewegenden Gedenkanlass mit rund 200 Vertreterinnen und Vertretern aus Religion und Politik. Und die Basler Regierung plant einen Erinnerungsort an dieses Verbrechen.

Der Grossratssaal im Basler Rathaus am Marktplatz ist bis auf den letzten Platz gefüllt. Viele Mitglieder der Jüdischen Gemeinde Basel, Parlamentarier und Regierungsräte von Basel-Land und der Stadt haben sich zu dieser Gedenkstunde versammelt. Sie lauschen den Klängen einer klagenden Klarinette.

Basler Regierung in der Verantwortung

Gespannt warten die Anwesenden auf den ersten Redner, auf Lukas Engelberger, Regierungsrat Basel-Stadt. Was wird er zur Schuld des Rates sagen? Er beginnt mit einem historischen Exkurs:Im Zuge der Pestwellen sei es in vielen europäischen Städten zu ähnlichen Mordaktionen gegen die jüdische Bevölkerung gekommen.

In Basel aber habe das Pogrom bereits vor dem Ausbruch der Pest stattgefunden. «Die Basler Regierung steht in einer besonderen Verantwortung für diese abscheuliche Mordtat», so Engelberger. «Es finden sich Hinweise, dass der Rat 1349 selbst die Verfolgung und Ausschreitungen gegen Juden befohlen hatte.» Für die Hinrichtung sei eigens ein Gebäude auf einer Kiesinsel im Rhein errichtet worden. «Wer ausser dem Rat», fragt Lukas Engelberger, «hätte diese Tat umsetzen sollen?» Der Regierungsrat fügt an: «Diesen Verlust, den sich die Stadt Basel selbst zugefügt hat, bedaure und betrauere ich im Namen des Regierungsrates zutiefst.»

Erinnerungsort geplant

Der Rat habe beschlossen, einen öffentlichen Erinnerungsort für diese Tat von 1349 zu errichten. «Der Regierungsrat ist der Überzeugung, die Erinnerung könne Menschen helfen, sich mit weniger Vorurteilen zu begegnen.» Derzeit wird ein Wettbewerb dazu erarbeitet. Das Projekt soll im Laufe dieses Jahres noch gekürt und dann umgesetzt werden.

 

Lukas Engelberger: «Diesen Verlust, den sich die Stadt Basel selbst zugefügt hat, bedaure und betrauere ich im Namen des Regierungsrates zutiefst.» | Foto: Vera Rüttimann

Lukas Engelberger: «Diesen Verlust, den sich die Stadt Basel selbst zugefügt hat, bedaure und betrauere ich im Namen des Regierungsrates zutiefst.» | Foto: Vera Rüttimann

 

In die Rolle der Kreditgeber gedrängt

Im Mittelalter kam es immer wieder zu Übergriffen und zu Morden an der jüdischen Bevölkerung. Oft als Folge eines Kreuzzuges oder weil die Kirche die Juden beschuldigte, den Messias gekreuzigt zu haben. Im Spätmittelalter kam eine neue Dimension hinzu: das Geld. Die aufstrebenden Reichstädte und die Bürgerschaft brauchten Finanzen. Doch seit dem vierten Jahrhundert durften Christen kein Geld gegen Zins verleihen. So drängte man die Juden in die Rolle der Kreditgeber. Die von den Juden erpressten Sondersteuern, füllten die Kassen der Städte und des Reichs. Und konnten Bürger, Rat und Zünfte die Schulden nicht mehr bezahlen, riefen sie zu Pogromen gegen die jüdische Bevölkerung auf.

Als Brunnenvergifter beschuldigt und verfolgt

Seit der zweiten Hälfte der 13. Jahrhunderts bezichtigte man in Europa die Juden zudem, sie hätten die Brunnen vergiftet und seien für die Pest verantwortlich. Im November 1348 verbrannte Solothurn die dort ansässigen Juden, später taten es Bern, Zofingen, Stuttgart, Lindau, Horb, Zürich, Basel und viele andere Städte gleich.

Jüdische Menschen wurden schon vor dem Pogrom 1349 gegängelt, weiss Simon Erlanger, Lehrbeauftragter für Christlich-Jüdischen Forschung der Universität Luzern. «Zu Weihnachten 1348 wurde der jüdische Friedhof am Petersgraben geschändet.» Es habe in Basel auch später Wellen von Vertreibungen gegeben. Die zweite Gemeinde musste 1397 aus der Stadt fliehen. Erst 1805 wurde die heute noch existierende dritte jüdische Gemeinde Basel offiziell gegründet.

 

Barbara Häne präsentiert eine historische Urkunde, die den regen Austausch zwischen christlicher und jüdischer Bevölkerung in Basel belegen. | Foto: Vera Rüttimann

Barbara Häne präsentiert eine historische Urkunde, die den regen Austausch zwischen christlicher und jüdischer Bevölkerung in Basel belegen. | Foto: Vera Rüttimann

 

Kein jüdisches Ghetto in Basel

Barbara Häne, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Jüdisches Museum Schweiz, erinnert daran, dass Juden und Jüdinnen schon im Mittelalter während 200 Jahren in Basel gelebt und wesentlich zur Entwicklung der Stadt beigetragen haben. Spätestens ab 1200 seien sie inBasel ansässig gewesen. «Die jüdische Bevölkerung bildeten in Basel kein Ghetto, sondern sie war fest ins Wirtschaftsleben der Stadt integriert.» An der Gedenktagung präsentiert sie eine historische Urkunde, die den Austausch zwischen christlicher und jüdischer Bevölkerung in Basel belegen.

 

Stefanie Bollag: «Seit dem 7. Oktober ist Leid nicht nur eine Sache des Wissens, sondern auch des Spürens.» Foto: Vera Rüttimann

Stefanie Bollag: «Seit dem 7. Oktober ist Leid nicht nur eine Sache des Wissens, sondern auch des Spürens.» Foto: Vera Rüttimann

 

Das Pogrom vom 7. Oktober 2023

An der Gedenkfeier wurde immer wieder der Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 angesprochen. «Er sorgt für schreckliche Déjà-vus», sagt Stefanie Bollag, Vize-Präsidentin der Israelitischen Gemeinde Basel. «Ohne den 7. Oktober 2023 würden meine heutigen Grussworte bestimmt anders ausfallen. Seit diesem Tag ist Leid nicht nur eine Sache des Wissens, sondern auch des Spürens.» Nie werde sie vergessen, als sie im November letzten Jahres von jüdischen Menschen gehört habe, die sich in einem Schrank vor ihren Mördern versteckten. Bollag mahnt, die Israelitische Gemeinde Basel existiere in dieser Form seit 200 Jahren. Möge dies weiter so bleiben und möge sie weiter gedeihen. Applaus. Der Saal steht auf.

Auch Bischof Felix Gmür kommt in seiner Rede auf den 7. Oktober zu sprechen. Die entschiedene Aufarbeitung solcher Ereignisse ist für ihn «eine Aufgabe für jede neue Generation von gläubigen Menschen in allen Kirchen».

 

Lukas Kundert: «Es kann nicht sein, dass Juden und Jüdinnen heute unsere Innenstadt meiden müssen.» | Foto: Vera Rüttimann

Lukas Kundert: «Es kann nicht sein, dass Juden und Jüdinnen heute unsere Innenstadt meiden müssen.» | Foto: Vera Rüttimann

 

Antisemitismus ein Skandal

Für Pfarrer Prof. Dr. Lukas Kundert, Kirchenratspräsident der reformierten Kirche Basel-Stadt, sind die jüdischen Menschen mit ihrer jahrtausendealten Geschichte ein unermesslicher Schatz. «Bis heute machen sie ernst mit der Tora, was viele provoziert. Sie halten an dem fest, was auch Jesus lehrte.» Und doch, so Kundert, würden sie von den Mehrheitsgesellschaften immer wieder neu dazu gezwungen, um ihre Anerkennung zu kämpfen. Viele wollten jüdischen Menschen heute keinen Schutz bieten, sagt Kundert. Dass der Antisemitismus immer wieder Urstände feiert, sei ein Skandal. Es könne nicht sein, dass Juden und Jüdinnen heute unsere Innenstadt meiden müssen.

Lukas Kundert und Felix Gmür rufen auf zu einer starken Allianz der Zivilgesellschaft zum Schutz von bedrohten Menschen. Peter Jossi, Präsident von Migwan (Liberale jüdische Gemeinde Basel), kommt da gerade recht mit einer Nachricht, die viele im Saal froh stimmt: «Bei uns engagieren sich neue Mitglieder. Darunter sind zunehmend auch junge Leute.»

 

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