«Wir sind wirklich privilegiert»
«Die Südamerika-Reise war streng genommen eine Kaffee-, aber sicher keine Schnapsidee», erzählt Anita Vögtlin, Sozialdiakonin in Basel West und Kirchenrätin. «Als ich während einer Kaffeepause im Gemeindehaus Stephanus von den Eindrücken meiner letzten Südamerika-Reise nach Bolivien erzählte, war unser Jugendarbeiter Philipp Schaub sofort Feuer und Flamme. Er fragte: ‹Können wir nicht auch mit unseren Jugendlichen eine solche Reise machen?›»
Musik verbindet
Die Idee war geboren, und die Umsetzung erfolgte auf der Stelle. Gemeinsam entwickelten Anita Vögtlin und Philipp Schaub ein Konzept. «Wir wollten den jungen Erwachsenen zeigen, wie wunderbar Gottes Schöpfung ist. Und weil ich schon einige Male in Bolivien war, nutzte ich die dortigen Kontakte zu sozialen Projekten», erzählt Vögtlin. Die Reise wurde bewusst nicht öffentlich ausgeschrieben. «Angefragt für die Teilnahme haben wir die freiwilligen Helferinnen und Helfer des Gemeindehauses Stephanus, die sich in der Vergangenheit besonders verdient gemacht hatten.» Die Mehrheit der Angefragten habe nicht lange überlegen müssen, ob sie in Bolivien, einem der ärmsten Länder Südamerikas, für drei Wochen Mitglied der Reisegruppe sein wollten.
Für 14 Teilnehmerinnen und Teilnehmer im Alter zwischen 18 und 28 Jahren und die beiden Begleitpersonen Anita Vögtlin und Philipp Schaub begann am 18. Juli das Abenteuer Bolivien. Mit dabei waren auch zwei Gitalelen, ein Cajon und ein Liederbuch. «Musik verbindet Menschen, das wussten wir aus mannigfaltiger Erfahrung», sagt Anita Vögtlin.
«Ehrliche Zuwendung gegenüber armen Menschen und Begegnung auf Augenhöhe sind in Gesprächen das A und O», sagt Naemi Blunier. | Fotos: Lukas Geer/Samuel Hanauer
Vorbereitungstreffen
Naemi Blunier, eine der Teilnehmerinnen der Reise, erzählt, dass sich die Gruppe im Rahmen von mehreren Treffen auf Bolivien vorbereitet hat. «Dazu gehörten neben bolivianischen Kochabenden und Spendenevents für dortige Hilfsprojekte auch die individuellen Impfabklärungen beim Basler Tropeninstitut und der fachliche Umgang mit Armut in einem solchen Land. Wir haben beispielsweise im Vorfeld gelernt, dass ehrliche Zuwendung gegenüber armen Menschen und Begegnung auf Augenhöhe in Gesprächen das A und O sind. Es ging nicht immer nur darum, Geld zu geben.» Die Reise selbst sei ein Megaerlebnis gewesen. «Die Leute, die Natur – wir waren im Tiefland und stiegen bis auf 4900 Meter über Meer hoch. Wir sahen Städte und den Dschungel und waren bei Salzseen und in Silberminen. Und wir haben uns als Gruppe super gut verstanden.»
Es sei für sie alle ein grosser Realitätscheck gewesen, zu erleben, dass es anderen Leuten auf der Welt sehr viel schlechter geht. Gereift sei die Erkenntnis, dass man gar nicht so viel Materielles braucht. «Aber wir kamen teilweise auch an unsere Grenzen: Es gab nicht immer alles zu essen, und den Messlatte hinsichtlich Hygiene mussten wir ein paarmal nach unten verschieben. Und weniger schön zu sehen war, wie viel Abfall überall herumliegt, der vom Wind aus den Deponien verteilt wird», erklärt Naemi Blunier. «Wir haben hautnah erfahren und wissen es noch mehr als früher zu schätzen, was wir hier in der Schweiz alles einfach so haben – beispielsweise Trinkwasser im Überfluss. Wir sind wirklich privilegiert.» Und Anita Vögtlin ergänzt, dass es einigen Reiseteilnehmenden nach dieser Reise klar geworden sei, dass es zwischen materiellem Wohlstand und Fröhlichkeit keinen Kausalzusammenhang gibt.
Fotos: Lukas Geer/Samuel Hanauer
Klimawandel
Enorm bewusst geworden sei ihr während dieser Reise das Problem des Klimawandels, sagt Naemi Blunier. «Wir hier in der Schweiz spüren die Folgen des Klimawandels nur am Rande – ganz im Gegensatz zu Ländern wie Bolivien. Dort ist die UV-Strahlung doppelt so hoch. Lichtschutzfaktor 100 bei Sonnencrèmes ist Standard. Und Wasser wird zum Luxusgut.»
Finanziell möglich wurde die Reise dank der Grosszügigkeit eines inzwischen verstorbenen Kirchgemeindemitglieds, das einen beträchtlichen Betrag beisteuerte. «Somit musste nur noch der Flug bezahlt werden», sagt Anita Vögtlin. «Und die vorher gesammelten 5000 Franken konnten wir verschiedenen Hilfsprojekten und einem Kinderheim zukommen lassen.»
Anita Vögtlin (links) und Naemi Blunier. | Foto: tsc
«Wir sind wirklich privilegiert»