Albena Mihaylova: Die Künstlerin beim «Kirchenboten»
25 Jahre: Die Zahl erstaunt Albena Mihaylova selbst. So lange hat sie beim «Kirchenboten» Monat für Monat Bild und Text gelayoutet. «Ich bin sonst nicht so treu», sagt sie und muss lachen. Ihr Leben war – und ist – ein buntes Mosaik aus Stationen, Anstellungen und Menschen. Mag der «Kirchenbote» darin auch ein Steinchen von vielen sein, so hat Albena Mihaylova die Zeitung doch geprägt.

Ikone der Avantgarde
Albena Mihaylova wurde 1959 in Plowdiw in Bulgarien geboren, damals eine sozialistische Diktatur. Weil ihr Vater, ein Eisenbahningenieur, im diplomatischen Dienst war, konnte sich die Familie international frei bewegen – innerhalb Osteuropas zumindest. «Das damalige Jugoslawien war wie der Westen für uns», erinnert sie sich.
1984 schloss Albena Mihaylova ihr Kunststudium an der Hochschule der bildenden Künste in Sofia ab. In der politischen Umbruchzeit der 1980er-Jahre begann ihr künstlerisches Schaffen, als erste Frau zeigte sie Performances. Ihre Kunstaktionen und Ausstellungen wurden zu Wegbereitern für die folgende Generation. Heute ist sie in Bulgarien bekannt als Ikone der Avantgarde-Kunst.

«Oblivion», eine Performance-Ausstellung von 2023, in Mihaylovas Heimatstadt Plovdiv.
1994 zog Albena Mihaylova für ein Kunststipendium der Stiftung BINZ39 nach Zürich. «Das war ein Kulturschock», sagt Mihaylova. «Und als Künstlerin muss man sich immer wieder neu beweisen und von null anfangen.» So folgte bald eine Einzelausstellung im Musée des Beaux-Arts in Le Locle. Eigentlich sollte sie nur sechs Monate in der Schweiz bleiben. Aber da sie sich schon immer für bewegte Bilder in der Kunst interessiert hat, meldete sich Mihaylova kurzerhand für eine Videofachklasse an der Hochschule für Gestaltung in Basel an.
«Als ich nach dem Studium die Stelle beim ‹Kirchenboten› bekam, war die Zeitung noch schwarz-weiss», sagt Albena Mihaylova. «Ein paar rote Balken hier und da waren das einzige Farbelement.» Heute sind die farbigen Bilder aus der Zeitung nicht mehr wegzudenken.
Der ‹Kirchenbote› dankt Albena Mihaylova für ihre langjährige Arbeit, vor allem für ihre Liebe für die Sprache der Bilder. Sie hat die bunte Zeitung, die wir heute in den Händen halten, massgeblich mitgestaltet.
Ein Familiengeheimnis
Die Anstellung beim «Kirchenboten» war für Mihaylova eine erste Begegnung mit der reformierten Kirche. Die bulgarisch-orthodoxe Kirche wurde unter der kommunistischen Herrschaft verfolgt, viele Bischöfe und Geistliche wurden hingerichtet. Mihaylova wuchs darum atheistisch auf, die reformierte Kirche kannte sie überhaupt nicht. «Ich bin nicht religiös», sagt sie. «Ich habe einen sehr grossen Glauben.»
Was in Albena Mihaylovas Jugend niemand wusste: Ihr Grossonkel war Erzbischof. «Er war wie ein Vater für die ganze Familie», sagt sie über ihn. «Ein sehr toller Mensch, aber es war verboten, über ihn zu reden.» Beruf und Berufung des Grossonkels spalteten die Familie. Da war der Grossonkel: Gründer von Waisenhäusern und sozialen Einrichtungen in den 1930er-Jahren. Er war gegen den Faschismus, später gegen den Kommunismus – ein Regimekritiker. Daneben stand der Vater: Eisenbahningenieur und als Diplomat dem Regime gegenüber zur Treue verpflichtet.

Link zum Dokumentarfilm «Distancia», 75 Min., deutsche Untertitel, von Albena Mihaylova auf der Videoplattform Vimeo. Kennwort für die Freischaltung: DISTANCIA_Mihaylova
Ein Baum mit tiefen Wurzeln
Ihre Erfahrungen in der bulgarischen Heimat verarbeitet Albena Mihaylova, die bis heute in der Nähe von Basel lebt, in ihrer Kunst. 2016 veröffentlichte sie den autobiografischen Dokumentarfilm «Distancia», in dem sie den Selbstmord ihres Bruders und die Geschichte ihrer Familie aufarbeitete. Der Film spiegelt die innere Zerrissenheit im Kommunismus.
Ein Leben lang ist Albena Mihaylova zwischen der Schweiz und Bulgarien hin und her gependelt. Als ihre Mutter nach Corona pflegebedürftig wurde, reiste Mihaylova alle zwei Wochen zu ihr. «Bulgarien ist wunderschön», sagt sie. «Aber oft ist es eine Enttäuschung, nach Hause zurückzukehren. Ich sehe die vielen Probleme, die das Land hat, und mehr und mehr vergrössert sich die emotionale Distanz.» Sie seufzt und sagt: «Ich bin ein Baum mit neuen tiefen Wurzeln.»

Albena Mihaylova an einer Präsentation von «Distancia». Im Hintergrund ein Bild ihrer Mutter, die auch im Film mitspielt.
Zum Ursprung des Glaubens
Mit der Pensionierung wird Albena Mihaylova der filmischen Arbeit noch mehr Zeit widmen können. Ihr nächstes Projekt führt sie in die Region des Ararat, eines ruhenden Vulkas im armenischen Hochland in Ostanatolien, Türkei. «Es wird um den Glauben gehen», sagt Mihaylova, «aber nicht um Religion.» Vielmehr wolle sie dem Ursprung der Geschichten nachgehen, die in der Bibel und in anderen heiligen Schriften stehen. «Wir schöpfen alle aus der gleichen Quelle», ist sie überzeugt. «Und alles ist Liebe.»

Albena Mihaylova arbeitet derzeit mit Kameramann Simon Denzler am Film «Ostweiss», im Hintergrund der Berg Ararat.

Das Filmteam für «Ostweiss» am Balik Gölu. Auch Mihaylovas Tochter Stefania Akrabova arbeitet in der Filmbranche und begleitet das Projekt. Von links: Kameramann Simon Denzler, Stefania Akrabova, Albena Mihaylova und der local Scout und Bergführer Nuri Ceven.
Albena Mihaylova: Die Künstlerin beim «Kirchenboten»