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Arbeit und Rente gehören zum Leben

von Werner Dietschweiler
min
21.02.2024
Was haben Kapitalismus, Ethik und Religion mit der Diskussion rund um die Abstimmungen über die Renten in der Schweiz zu tun? Ein etwas anderer Betrachtungsansatz aus christlicher Sicht, ohne Anspruch auf Vollständigkeit oder Empfehlungscharakter – und nicht nur mit dem Fokus auf die AHV.

«Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus» – diese Studie aus der Zeit lange vor der Gründung der Altersund Hinterbliebenenversicherung (AHV) von Max Weber war ein Meilenstein in der Soziologie, der bis heute nachhallt. Darin werden Unternehmertum, Kapitalbesitz, Bildung in technischer und naturwissenschaftlicher Richtung als protestantische Errungenschaften betrachtet.

Die meisten arbeiten gerne

Und heute? Die meisten Menschen arbeiten gerne. 80 Prozent der Beschäftigten in der Schweiz sind mit ihrer Arbeit zufrieden. Und wenn es für die Zeit nach der Pensionierung eine sichere Rente gibt, steigt die Zufriedenheit zusätzlich. Am Anfang der Bibel heisst es, der Mensch solle den Garten der Schöpfung bebauen und bewahren. Wer leben will, muss arbeiten, ausser er lässt andere für sich schuften.

In der antiken Welt gab es viele Sklaven. Das war im alten Israel nicht anders. Etwas aber machte einen Unterschied: auch der Sklave war am Sabbat von jeder Arbeit befreit. Arbeit gehört zum Leben, aber das Leben gehört nicht nur der Arbeit. Am Ruhetag kann der Mensch aufatmen und Kraft schöpfen. Heute hört man oft die Klage: die Woche hindurch ist der Mensch im Hamsterrad der Arbeit und übers Wochenende im Hamsterrad des Freizeitbetriebs. Wenigstens das zweite Hamsterrad kann man teilweise oder ganz vermeiden...

 

Die Abstimmungen am 3. März

Initiative für 13. AHV-Rente
Die Einführung einer 13. AHV-Rente entspricht einer Erhöhung der jährlichen AHV-Rente um 8,3 Prozent. Die Kosten dieses Ausbaus beliefen sich im ersten Jahr voraussichtlich etwa auf 4,1 Milliarden Franken. Danach würden die Kosten schnell weiter zunehmen und fünf Jahre nach Einführung voraussichtlich rund 5 Milliarden Franken pro Jahr betragen.

Renteninitiative
Die Renteninitiative will die Finanzierung der AHV nachhaltig sichern. Wird die Initiative angenommen, würde die AHV entlastet: Die Erhöhung des Rentenalters auf 66 Jahre würde die Ausgaben der AHV voraussichtlich um rund 2 Milliarden Franken reduzieren. Mit den automatischen Anpassungen des Rentenalters an die steigende Lebenserwartung würde die AHV zusätzlich entlastet.

 

Aufwertung der Arbeit durch das Evangelium

Jesus war Handwerker. Sein Vorbild adelte die Arbeit. Paulus, ein Gelehrter und Zeltmacher, gab der Arbeit einen hohen Stellenwert: «Tut eure Arbeit von Herzen für Christus und nicht für Menschen!» (Kol. 3.23) Der Glaube an Christus soll zur Arbeit motivieren. Die Reformation hat diesen Gedanken weitergeführt: in jedem Stand, in jedem Beruf können wir Christus dienen!

Wer dabei erfolgreich ist, soll mit den Früchten seines Erfolges beitragen zum Aufbau der Gesellschaft: zum Beispiel Arme unterstützen, Schulen einrichten, Arbeitsplätze schaffen. Diese Einstellung hat Max Weber das protestantische Arbeitsethos genannt, das die moderne Arbeitswelt wesentlich geprägt hat.

Industrialisierung als Einschnitt

Die Industrialisierung im 19. Jahrhundert war ein tiefer Einschnitt in der Arbeitswelt. Menschen arbeiteten 80 und mehr Stunden pro Woche in den Fabriken. Die Wohnverhältnisse waren vielerorts elend, die Löhne minimal. Nicht mehr christliche Grundsätze motivierten die Arbeitgeber.

Zwar gab es Ausnahmen, aber im Vordergrund standen die Treiber des Kapitalismus: Ehrgeiz, Geld, Ansehen, Macht. Würde und Selbstwert der Arbeitenden gingen verloren, der Mensch wurde zur Sache degradiert. Deshalb wollte Karl Marx diese Art von Arbeit mit der kommunistischen Revolution beseitigen.

Eine Erfolgsgeschichte

Aber es ist anders gekommen. In jahrzehntelangem Ringen zwischen Arbeitnehmerund Arbeitgeberschaft verbesserten sich allmählich die Lebens- und Arbeitsbedingungen. Versicherungen aller Art gewährten Schutz bei Krankheit, Unfall, Arbeitslosigkeit, Alter und Tod. Auch die Alters- und Hinterbliebenenversicherung (AHV) gehört in diese Reihe.

So kann man die Entwicklung der Arbeit in den letzten 150 Jahren als Erfolgsgeschichte bezeichnen. Die Sorge um die Humanisierung der Arbeit geht weiter. In diesem Zusammenhang ist auch die derzeitige Diskussion um eine zeitgemässe AHV zu betrachten, deren langfristige Sicherung das Anliegen aller politischen Akteure ist.

 

Nachgefragt

Reto Inauen, Verbandspräsident Thurgauer Raiffeisenbanken

Am Rande der Bilanzmedienkonferenz der Thurgauer Raiffeisenbanken fragte der Kirchenboten nach dem Arbeitsethos im Arbeitsalltag.

«Meine christliche Glaubensüberzeugung ist hoffentlich auch im Arbeitsalltag spürbar. Die Errungenschaften der Sozialpartnerschaften sind hochzuhalten, es braucht aber auch Toleranz und Verständnis für die Andersartigkeit. Und es gibt auch ein Leben neben der Arbeit.

Deshalb ist es mir ein Anliegen, im Arbeits- und Führungsalltag Wertschätzung und christliche Grundsätze zu leben: Alle Menschen haben grundsätzlich einen guten Kern und sind wertvoll. Ich glaube an das Gute im Menschen. Christliche Werte wie Bodenständigkeit, Bescheidenheit, Ehrlichkeit und ein Miteinander ohne Geiz und Neid sind dafür eine gute Grundlage.»

 

Die AHV – ein paar Zahlen

Das Thema Armut und Geldknappheit wird in der Diskussion rund um die AHV immer wieder genannt. Sicher ist aber, dass dank der AHV die materielle Armut in der Schweiz reduziert wurde. «Arme habt ihr immer bei euch»: In Matthäus 26.9 schildert schon Jesus den gegenwärtigen Zündstoff und vermittelt eine realistische Sicht auf die Welt, die komplex und voller Gegensätze ist.

Die AHV war, als sie 1948 in Kraft trat, ein ausgeklügeltes Instrument, um die gröbste Armut im Alter und die finanzielle Notlage von Witwen und Waisen zu mildern. Zu Beginn betrug die Minimalrente im Monat 40 Franken, die Maximalrente 125 Franken. Nach zehn AHV-Revisionen sind wir heute minimal bei 1225 Franken, maximal bei 2450 Franken. Also innerhalb von rund 70 Jahren vermehrte sich die einfache Rente um das 20- bis 30fache.

2022 wurden an rund 2,5 Millionen alte Menschen AHV-Renten ausbezahlt. 350‘000 Personen erhielten Ergänzungsleistungen. Insgesamt wurden dabei rund 50 Milliarden Franken umverteilt (73 Prozent aus Arbeitnehmer- und Arbeitgeberbeiträgen, 27 Prozent aus Bundessteuer, Mehrwertsteuer, Tabak- und Alkoholsteuer).

Die AHV beruht auf dem Umlageverfahren: die aktuelle Erwerbsgeneration finanziert jeweils die heutigen Rentner. Die AHV – einmalig auf der Welt Das System AHV ist einmalig auf der Welt. Ob jemand viel oder wenig verdient, sie oder er bezahlt zusammen mit seinem Arbeitgeber 8.7 Prozent des effektiven Lohnes ein, während die Leistungen auf ein bestimmtes Maximum limitiert sind. Mit anderen Worten: Wer nur 500 Franken jährlich einbezahlt, kriegt genauso eine Rente wie einer, der jährlich 500‘000 Franken einbezahlt.

Tatsächlich werden mit dieser Praxis 27 Milliarden Franken von reich nach arm umverteilt. Anders gesagt: 92 Prozent aller AHV-Bezugspersonen verdanken die Finanzierung ihrer Rente den Reichen. Das ist vom Staat gelenkte Solidarität, die den christlichen Werten von Gerechtigkeit und Barmherzigkeit entspricht. Der «Vater der AHV», SP-Bundesrat Hans-Peter Tschudi, hat betont: «Die Reichen brauchen keine AHV, aber die AHV braucht die Reichen.»

Wer bezahlt die Rechnung?

SP-Bundesrat Hans-Peter Tschudi hat die sechste bis neunte AHV-Revision durchgeführt, SP-Bundesrätin Ruth Dreifuss die zehnte. Beide Amtsträger haben dabei hervorragende Arbeit geleistet und die Lebensqualität im Alter verbessert. Aber beide SP-Politiker kompensierten die Mehrausgaben mit Mehreinnahmen: Erhöhung der Lohnprozente, respektive des Rentenalters der Frau.

Woher die zusätzlichen fünf Milliarden Franken jährlich kommen sollen, wird indes mit der SP-Initiative für die 13. AHV-Rente nicht geklärt. Das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) fragt sich, ob alle Rentnerinnen und Rentner eine 13. AHV brauchen und wer das bezahlen soll. Das BSV hält aber an der Überzeugung fest, dass man gezielt jenen helfen soll, die trotz Ergänzungsleistungen nicht genug zum Leben haben. Dies angesichts der Tatsache, dass Lebenserwartung und Zahl der Rentner dauernd zunehmen.

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