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Fokus: Schmerzen

Debora Sommer: Vom Umgang mit chronischen Schmerzen

von Tilmann Zuber
min
13.04.2024
Debora Sommer leidet seit elf Jahren an chronischen Schmerzen im Rücken. Sie hat alles probiert, doch der Schmerz zermürbt sie und lässt beinahe ihre Psyche und ihre Familie zerbrechen. Mit den Jahren findet sie den Weg aus dem Tief.

Debora Sommers Leiden trägt die drei kurzen Ziffern L4, 5 und S1. So heissen die Wirbel, deren Nervenwurzeln geschädigt wurden. Wie und wann, ist unklar. Klar ist nur, dass Sommer seit elf Jahren unter unerträglichen Schmerzen leidet. Mit Hilfe von Medikamenten, die Morphium und heute Opiate enthalten, bewältigt die 49-Jährige ihren Alltag.

Sommer nimmt die Schmerzmittel, obwohl sie weiss, dass sie ihrem Körper nicht gut tun. Anfangs waren die Schmerzen so stark, dass sie kaum zehn Minuten sitzen konnte, bevor sie sich übergeben musste.

Es beginnt harmlos

Ihre Leidensgeschichte beginnt mit einer Lappalie. Im Dezember 2012 stolpert sie auf der Treppe und spürt danach ein leichtes Ziehen im Rücken. In den folgenden Wochen wird es stärker, der Schmerz strahlt ins Bein aus. Die Ärzte verschreiben ihr Physiotherapie, die aber nicht anschlägt. Im Gegenteil: Nach den Skiferien ist ihr linkes Bein gelähmt, und sie kann ihre Blase nicht mehr kontrollieren.

Eine Operation ist unumgänglich. «Es war eine Bilderbuch-Operation», erinnert sich Sommer. Sie spürt, wie die Kraft in ihre Beine zurückkehrt. Doch die Schmerzen sind schlimmer denn je. Nach qualvollen Monaten steht fest: Debora Sommer leidet an chronischen Nervenschmerzen. Ohne starke Medikamente hält sie es nicht mehr aus. Sitzen, Stehen, Gehen, alles wird zur Qual.

Jedes Mal wird man tiefer gebeugt und unendlich müde.

Es folgt ein Spiessrutenlauf durch Arztpraxen und Kliniken: Nach neun Monaten überweist sie die Ärztin in die Schmerzklinik des Inselspitals in Bern. Bei all den Behandlungen kommt sie sich manchmal vor wie ein Versuchskaninchen. Die Schmerzen werden nicht besser. Aber im Inselspital nimmt man sie ernst. Debora Sommer muss sich nicht mehr rechtfertigen und beweisen, dass sie sich alles nur einbilde oder vorspiele.

Das Leiden beherrscht den Alltag und die Familie. Bei jedem neuen Eingriff, bei jeder Infiltration hofft die Familie auf Besserung – dann passiert nichts. «Jedes Mal wird man tiefer gebeugt und unendlich müde», sagt Sommer.

Debora Sommer lernt verschiedene Gedankenstrategien gegen die Schmerzen: Mit Ablenkung, mit Musik, Büchern oder Filmen flüchtet sie in andere Welten. Ein heisses Bad, frische Luft, Sonne und Spaziergänge hilft, die Verkrampfungen zu lösen, und dass sich die Stimmung bessert.

Schmerzen zermürben

Die Schmerzen verschwinden jedoch nicht. Sie zermürben. Traurigkeit überkommt sie, Sommer rutscht allmählich in eine Depression ab. «Ich lag im Bett und fühlte, dass ich auf der Kippe stand», erzählt sie. Sie drehte sich in einem Kreis aus negativen, düsteren Gedanken und Selbstmitleid. «Gott, warum hast du das zugelassen? Warum ich?», fragt sie sich immer wieder.

Ihr Pensum als Dozentin am Theologischen Seminar St. Chrischona muss sie reduzieren. Sie bezeichnet sich als gläubig und ringt mit Gott. Es sei schwierig, in der Krankheit mit Gottes Hilfe einen festen Stand zu entwickeln und nicht zu resignieren. Sommer will an Gott festhalten, auch wenn sie sich fragt, wie ein Gott der Liebe ihr das zumuten kann.

Mit der Zeit merkt sie, sie kann diesen Widerspruch nicht auflösen. Sie entdeckt, dass sie nicht stoisch darüber stehen muss, sondern Gott anklagen darf wie der alttestamentliche Hiob. «Es hat mir so gut getan, zu trauern und all meine Verzweiflung und mein Unverständnis herauszulassen», sagt sie.

Die ganze Familie ist betroffen

Nicht nur Debora Sommer leidet unter der Situation. Auch ihre Familie ist überfordert. Vieles, was andere Familien unternehmen, ist für Sommers unmöglich. Denn die Mutter liegt im Bett und ist rasch erschöpft. Alles dreht sich um die Frage, wird sie endlich den richtigen Arzt, die richtige Behandlung, das entscheidende Medikament finden, die sie von ihrem Leiden erlösen.

Debora Sommer glaubt, dass es das Beste für alle ist, wenn sie sich zurückzieht, um anderen nicht zur Last zu fallen. Als ihre Tochter zu ihr sagt: «Du bist wie ein Gespenst und willst gar nicht mehr da sein», merkt sie, wie sehr ihr Schicksal die Familie belastet.

Ich lag im Bett und hörte die Kinder weinen und leiden. Das war das Schlimmste für mich.

Ihr Mann läuft in dieser Zeit auf Hochtouren, manchmal entlädt sich sein ganzer Stress an den Kindern. «Ich lag im Bett und hörte die Kinder weinen und leiden», sagt sie. «Das war das Schlimmste für mich. Ich fühlte mich nur noch als Last für die anderen.» Debora Sommer kommt an den Punkt, an dem sie denkt, dass es für alle eine Erleichterung wäre, wenn sie nicht mehr da wäre. Selbstmordgedanken gehen ihr durch den Kopf. Heute versteht sie Menschen, die so tief in der Dunkelheit stecken, dass sie sich das Leben nehmen.

Ehe in der Krise

Ihr Mann entfernt sich mehr von ihr. Er versteht sie nicht. Auch weil sie unterschiedlich seien, sagt sie. Er ist pragmatisch, packt schnell an, nimmt den Hörer in die Hand und sucht Hilfe. Aber ihm fehlt das Feingefühl, er merkt nicht, dass sie mehr Nähe und Zuwendung braucht. Debora Sommer empfindet sein Unverständnis als Kränkung, sie fühlt sich verlassen und einsam. Die Beziehung steht auf der Kippe.

 

Ehepaar Sommer, seit 26 Jahren verheiratet: «Die Krise hat sie zusammengeschweisst.» | Foto: «Fenster zum Sonntag»

Ehepaar Sommer, seit 26 Jahren verheiratet: «Die Krise hat sie zusammengeschweisst.» | Foto: «Fenster zum Sonntag»

 

Es sei eine Gnade, diese Krise als Paar durchgestanden zu haben, sagt Sommer rückblickend. Sie hätten auch scheitern können. Heute weiss sie, dass ihre Vorwürfe ungerecht waren. Andere können ihre Krankheit im Grunde nicht verstehen. Sie habe gelernt, ihre Bedürfnisse mitzuteilen und den anderen in seiner Verschiedenheit stehen zu lassen.

Heute seien sie seit über 26 Jahren verheiratet, sie könnten sagen, dass es noch nie so schön gewesen sei, erzählt Debora Sommer. Das erfülle sie mit grosser Dankbarkeit. Die Krise hat sie zusammengeschweisst.

Debora Sommer hat über ihre Geschichte ein Buch verfasst. Sie hält Vorträge und Seminare und ist als Beraterin tätig. Viele Menschen, die in einer Krise stecken, schreiben ihr, dass sie es nicht mehr aushalten. Mit ihnen spricht sie dann über das, was das Leben lebenswert macht.

Ich bin von Gott geliebt, auch wenn ich, wie in meinem Fall, tagelang nur im Bett liege.

Dabei sei sie auf das Geschenk des Atems gestossen. In der Bibel steht, dass Gott dem ersten Wesen Odem eingehaucht hat. So wurde es lebendig. «Dass der Atem uns durchströmt, ist eine göttliche Bestätigung für unsere Existenz», ist Sommer überzeugt. «Gott will, dass du bist, es ist gut, dass es dich gibt. Egal, was du tust oder leistest.» Gott gibt unserem Dasein eine Würde, die uns wertvoll macht. «Ich bin von Gott geliebt, auch wenn ich, wie in meinem Fall, tagelang nur im Bett liege.»

Und wie geht es Debora Sommer heute? «Je nach Situation, es bleibt ein Auf und Ab», sagt sie. Die Schmerzen sind nach wie vor da. Die regelmässige Therapie mit gepulster Radiofrequenz bringt kurzzeitig Entlastung. Lange Zeit habe sie sich so gegen ihr «Dasein im dunklen Tal gewehrt, dass ich nicht in der Lage war, zu sehen, was gut ist». «Letztlich bleibt man in Gottes Hand, auch wenn es sich nicht immer so anfühlt.»

 


«Halt finden – wenn der Körper schmerzt und die Seele weint», Debora Sommer, Francke, www.deborasommer.com

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