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Literatur

Digitale Edition macht Gotthelfs Werk per Mausklick zugänglich

von Hans Herrmann/reformiert.info
min
10.06.2025
Jetzt lässt sich weltweit ohne Gang in den Buchladen das Werk des Dichters Jeremias Gotthelf erkunden, literarisch wie wissenschaftlich: dank der Plattform gotthelf-digital.ch.

«Wie zu Gotthelfs Zeiten» – dieser in Gesprächen immer mal wieder gehörte Vergleich soll zum Ausdruck bringen, dass etwas besonders bodenständig, altväterisch und rustikal sei. Wie zu Zeiten von Albert Bitzius eben, der von 1831 bis 1854 Pfarrer in Lützelflüh war und unter dem Pseudonym Jeremias Gotthelf Romane verfasste, in denen er eindrücklich von den Leiden und Freuden der Bauern im Emmental erzählte.

Gotthelfs Ruhm als Literat reichte bereits zu seinen Lebzeiten über die Schweizer Grenzen hinaus bis nach Deutschland, wo er sich einer grossen Leserschaft erfreute. Heute zählt sein Werk zur Weltliteratur.

«Seine Karikaturen einer fortschrittsversessenen Politik ohne Moralmassstäbe brachten den Pfarrer von Lützelflüh bei Berner Lesern in Misskredit. Das deutsche Lesepublikum schätzte indes seine Darstellungen der bäuerlichen Welt, je mehr sie in Kontrast zum industriellen Zeitalter zu rücken schienen»: So umreisst die Forschungsstelle Jeremias Gotthelf an der Universität Bern die Rezeption von Gotthelfs Werk durch dessen Zeitgenossen.

Longseller «Die schwarze Spinne»

Seit Gotthelfs Tod sind gut 170 Jahre vergangen. Seine Figuren wie Uli der Knecht, Änneli oder der Hagelhans haben sich dem heutigen kollektiven Gedächtnis vor allem über die Verfilmungen des Regisseurs Franz Schnyder (1919 – 1993) eingeprägt. Gotthelfs Druckwerke hingegen gehen im Buchhandel nur noch selten über die Theke. Eine grosse Ausnahme bildet die Novelle «Die schwarze Spinne», die zum literarischen Bildungskanon und entsprechend immer noch zur gymnasialen Pflichtlektüre im deutschsprachigen Raum gehört.

Die Gotthelf-Edition ist eines der langfristigsten geisteswissenschaftlichen Vorhaben im Land.

Aber wer weiss – vielleicht findet ja die eine und andere interessierte Person den Weg zu Gotthelfs Werken wieder – denn jetzt ist die seit 2012 als Buchedition erscheinende Historisch-kritische Gesamtausgabe der Werke und Briefe des Dichters auch digital verfügbar. Ziel sei es, die kritische Arbeit an Gotthelfs Texten für alle Interessierte zur Verfügung zu stellen, halten die Macher fest. An der digitalen Edition beteiligt sind die Forschungsstelle Jeremias Gotthelf (Inhalte, Konzept), die Hochschule der Künste in Bern (Design) und die Firma Pagina GmbH (Programmierung). Am Freitag, 23. Mai 2025, hat in Lützelflüh die Vernissage stattgefunden. Im zum Gotthelf-Zentrum umgebauten Pfarrhaus, der einstigen Wirkungsstätte des Dichterpfarrers.

Auf Streifzug im Gotthelf-Universum

Die neue digitale Plattform erweitert den Zugang zur Gesamtausgabe entscheidend: Sämtliche bisher erschienenen Bände der gedruckten Edition sind nun online abrufbar – samt Variantenapparaten, Kommentaren und Entstehungsgeschichte der Texte. Nutzerinnen und Nutzer können durch Verlinkungen zwischen den Materialien navigieren, Originalhandschriften mit Transkriptionen vergleichen oder gezielt nach Begriffen und Themen im Gesamtwerk suchen. Oder auch, ganz unprätentiös, einen Gotthelf-Roman oder eine Novelle auf den E-Reader laden, zum reinen Lesevergnügen.

 

Schauplatz des Geschehens: Das ehemalige Lützelflüher Pfarrhaus, wo Gotthelf lebte und wirkte. | Foto: Katharina Blank, Forschungsstelle Jeremias Gotthelf

Schauplatz des Geschehens: Das ehemalige Lützelflüher Pfarrhaus, wo Gotthelf lebte und wirkte. | Foto: Katharina Blank, Forschungsstelle Jeremias Gotthelf

 

«Die Gotthelf-Edition ist eines der langfristigsten geisteswissenschaftlichen Vorhaben im Land», erklärte Christoph Pappa, Präsident der Jeremias-Gotthelf-Stiftung, an der Vernissage. Geplant sind insgesamt 67 Bände, deren Erscheinen sich über beinahe drei Jahrzehnte erstreckt – begonnen hat die Arbeit 2012, abgeschlossen werden soll sie im Jahr 2040.

Mit unserer philologischen Arbeit helfen wir mit, ein grosses schriftliches Kulturerbe zu erhalten.

Möglich wurde dieses ambitionierte Projekt nur durch langjährigen politischen und finanziellen Rückhalt. Bereits 2008 sprach sich die Schweizerische Akademie der Geistes- und Sozialwissenschaften für die Förderung einer historisch-kritischen Edition aus – mit Verweis auf die nationale Bedeutung Gotthelfs. Es folgten langwierige Abklärungen und Konzeptentwicklungen, bevor 2012 der Startschuss fiel. Seither wird die Edition vom Bundesamt für Kultur, dem Kanton Bern sowie verschiedenen Stiftungen unterstützt. Die digitale Umsetzung wurde zusätzlich durch gezielte Projektmittel finanziert.

Mit wissenschaftlicher Sorgfalt

Dieses Langzeitprojekt vereint in sich den wissenschaftlichen und den kulturellen Aspekt: «Mit unserer philologischen Arbeit helfen wir mit, ein grosses schriftliches Kulturerbe zu erhalten», sagte Christian von Zimmermann, der die Forschungsstelle Jeremias Gotthelf leitet, vor den geladenen Gästen am Launch der Online-Edition.

 

Achtung, fertig, los: Verantwortliche des Projekts schalten an der Vernissage symbolisch die Online-Edition frei. V.l.: Nicolo Bernasconi, Hochschule der Künste Bern; Patricia Zihlmann-Märki, stv. Leiterin Forschungsstelle Jeremias Gotthelf; Martin Sallmann, Präsident wissenschaftlicher Beirat der Gotthelf-Edition; Roland Reichen, Forschungsstelle Jeremias Gotthelf. | Foto: Katharina Blank, Forschungsstelle Jeremias Gotthelf

Achtung, fertig, los: Verantwortliche des Projekts schalten an der Vernissage symbolisch die Online-Edition frei. V.l.: Nicolo Bernasconi, Hochschule der Künste Bern; Patricia Zihlmann-Märki, stv. Leiterin Forschungsstelle Jeremias Gotthelf; Martin Sallmann, Präsident wissenschaftlicher Beirat der Gotthelf-Edition; Roland Reichen, Forschungsstelle Jeremias Gotthelf. | Foto: Katharina Blank, Forschungsstelle Jeremias Gotthelf

 

An der Forschungsstelle arbeiten derzeit 13 Personen kontinuierlich an der wissenschaftlichen Herausgabe des gotthelfschen Gesamtwerks – insgesamt waren bislang 62 Fachleute beteiligt. Der Anspruch ist hoch: Alle Texte werden mit den Originalhandschriften sorgfältig abgeglichen, wissenschaftlich kommentiert und editorisch genau dokumentiert.

Immer zu Gotthelfs Geburtstag

Die digitale Edition lebt – sie wird jährlich ergänzt und überarbeitet. Jedes Jahr am 4. Oktober, zu Gotthelfs Geburtstag, soll ein Update erfolgen. Das Projektteam versteht die Online-Ausgabe als offenes Arbeitsinstrument, das nicht nur Lesende, sondern auch Forschende aktiv nutzen können.

Ein kleines Detail erfreute die Gäste der Vernissage besonders: Wenn das Laden eines Inhalts einmal etwas länger dauert, erscheint auf dem Bildschirm ein beruhigendes Zitat des Dichterpfarrers – etwa: «Geduld überwindet Sauerkraut, heisst es.» Gotthelf, wie er leibt und (nach)lebt.

gotthelf-digital.ch

 

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