Als die Wehrkirche St. Arbogast in Muttenz im Jahr 1880 renoviert wurde, machten die Restaurateure eine grosse Entdeckung: Unter der weissen Mauerfarbe verbargen sich prächtige Fresken aus dem 14. und 15. Jahrhundert. Sie illustrierten die Passionsgeschichte und das letzte Abendmahl, die Zehn Gebote, aber auch die Legenden des heiligen Arbogast und der Eltern Marias, Anna und Josef. Ein wahrer Schatz war endlich freigelegt, der im Zuge der Reformation mit weisser Farbe übertüncht worden war, weil die Bilder zu stark von Gottes Wort ablenkten.
Wie Bilder unsere Geschichten prägen
Das Geld für eine komplette Restaurierung der Bilder fehlte. Nur eines, «Das letzte Abendmahl», durfte der Kunstmaler Karl Jauslin mit frischen Farben übermalen. Von den restlichen Fresken fertigte er Skizzen an. Dann wurden die bunten Kirchenwände mit weissem Gips zugedeckt. Fast hundert Jahre sollten vergehen, bis die Kirche ein weiteres Mal renoviert würde. Diesmal aber, 1975, sollten die alten Fresken endlich befreit werden.
Die Wiederentdeckung der Fresken von St. Arbogast liegt nun genau 50 Jahre zurück. Vieles ist nicht mehr zu erkennen, der Gips hat sie zu grossen Teilen zerstört. Sara Stöcklin, Pfarrerin in der Kirche St. Arbogast, hat sich im Rahmen dieses Jubiläums stark mit den Bildern und ihrer Bedeutung auseinandergesetzt. Es sei spannend, sagt sie, was die Bilder uns über die Vorstellungen der damaligen Zeit verraten. «Eines meiner Lieblingsbilder ist ‹Die Geburt von Jesus›», sagt sie. Auf dem Bild liegt der kleine Jesus nicht in einer Krippe, sondern auf einem Plattenboden. Esel und Ochs sind im Hintergrund zu sehen. «Das Bild zeigt uns, wie man sich die Geburt Jesu im Mittelalter vorstellte und wie sich manche dieser Vorstellungen gehalten, manche aber auch verändert haben. Es ist auch ein Beispiel dafür, dass biblische Geschichten bei der Bemalung der St.-Arbogast-Kirche ergänzt wurden mit Legenden aus dem Mittelalter.»
Fotos: Katja Schmidlin
Stöcklin zeigt auf die linke Wand, wo grosse Rechtecke die Passionsgeschichte erzählen. «Das sind Fenster in die Vergangenheit», erklärt sie. In jedem Fenster spielt sich ein anderer Abschnitt aus Jesu Leidensgeschichte ab. Diese Fenster in die Vergangenheit sind eine Art Metapher für die Bedeutung der Fresken. «Es ist wichtig und tut uns gut, uns mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen», sagt Stöcklin. «Wir können aus den Erfahrungen der Geschichte lernen und es vermeiden, Fehler zu wiederholen.»
Ein Kirchenraum für die Menschen
Um nicht stehen zu bleiben, sei es darum wichtig, zu fragen, was die Leute heute brauchen. «Vor 500 Jahren konnten viele Menschen nicht lesen, also brauchten sie Bilder, die ihnen Geschichten erzählten.» Sie bewundere den Mut von damals, eine ganze Kirche mit bunten Bildern auszustatten – ein bisschen so, als würde man die Wände heute mit Graffiti füllen. Die Kirche sei in der ganzen Zeit ihres Bestehens ständigem Wandel ausgesetzt gewesen. Fenster wurden eingebaut, ungeachtet der Bilder, durch die sie schnitten. Die Empore mit der Orgel wurde versetzt. Treppen und Türen wurden eingesetzt und wieder entfernt. «Man hat den Kirchenraum früher immer wieder den Bedürfnissen der Menschen angepasst. Heute ist es undenkbar, eine historische Kirche baulich zu verändern. Wir sollten aber immer noch danach fragen, was den Menschen und ihrem Glaubensleben dient.» Und was wäre das für Sara Stöcklin? Die Pfarrerin sagt: «Sofas – und viel zu essen! Die Menschen sollen sich in der Kirche zu Hause fühlen.» Allerdings, wendet sie ein, bräuchten die Sofas ja nicht in der Kirche zu stehen, sondern zum Beispiel im Unterrichtsraum. «Ich schätze die Ruhe und Schlichtheit der St.-Arbogast-Kirche sehr.»
Fenster in die Vergangenheit