Kleines «Who is who» der Mystik
Buddhismus: Zen
Per se mystisch ist der Buddhismus. In dieser Religion geht es nicht darum, eine Gottheit zu verehren und nach deren Geboten zu leben. Sondern um Erlösung durch eigenes Bemühen mit dem Ziel, sich von den Begierden des Lebens zu befreien und aus dem leidvollen Rad der Wiedergeburt auszubrechen. Eines der Mittel ist die Meditation: Die geistige Versenkung soll tiefere Einsichten in die Mechanismen der Welt und geistige Gelassenheit bewirken.
Um das Jahr 500 n. Chr. herum entwickelte der Wandermönch Bodhidharma in China die Schule des Chan-Buddhismus. In dieser Lehre sind die meditative Selbstbetrachtung, aber auch die körperliche Ertüchtigung zum Erlangen von Erleuchtung zentral.
In Japan entstand später eine eigene Ausprägung des Chan: der Zen-Buddhismus mit seiner heute auch im Westen praktizierten Sitzmeditation. Zen beeiflusste die japanische Kultur stark und führte zu spezifischen Künsten wie Schwertkampf, Bogenschiessen, Kalligrafie und Teezeremonie. Bodhidharma, der Schöpfer und erste Patriarch des Zen, gilt der Legende nach auch als Erfinder der asiatischen Teekultur.
Islam: Sufismus
Als im mittelalterlichen Persien die Gesetzlichkeit im Islam immer ausgeprägter wurde, entstand als Gegenbewegung eine mystische Strömung. Diese leitet dazu an, Gott unmittelbar zu erleben, im Rahmen von spirituellen Übungen, zu denen Gebetsmeditationen ebenso gehören wie Musik und Tanz. Sufismus nennt sich die islamische Mystik, gelebt wird sie in Sufi-Gemeinschaften, zu denen im heutigen Iran Menschen aus allen Schichten und Berufen gehören. Es gibt sie etwa auch in der Türkei, den USA und der Schweiz. In manchen Orden werden die Angehörigen Derwische genannt. Sie sind bekannt für ihre rituellen Tänze, bei denen sie sich um sich selbst drehen, ihre Gewänder wirbeln lassen und in spirituelle Versenkung geraten.
Die Mystik hat weit über den Sufismus hinaus die persische Philosophie und Literatur beeinflusst. Ein bedeutender Sufi-Denker war im 13. Jahrhundert der Dichter Jalaluddin Rumi. Er fasste das Wesen der Mystik zusammen: «Die Seele des Gebets ist das Aufgehen des Selbst in Gott.» Bis heute wird Rumi in vielen Sprachen gelesen, in den USA gehört er zu den meistverkauften Dichtern.
Judentum: Kabbala
Wer «Kabbala» hört, denkt dabei oft an magische Praktiken, Amulette, Glücksbringer, aber auch an Zahlenmystik und die geheimnisvolle Kraft der hebräischen Schriftzeichen. Diese populäre Vorstellung ist stark geprägt von der als «Hollywood-Kabbala» apostrophierten Praxis, die am internationalen Kabbalah Centre gelehrt wird. Laut Kritikern bleibt diese Form der jüdischen Mystik jedoch an der Oberfläche. Zugleich scheint sie zu faszinieren: Zu den Anhängerinnen gehören unter anderen US-Stars wie Madonna oder Demi Moore.
Die traditionelle jüdische Kabbala hingegen hat ihre Wurzeln im europäischen Judentum und ist ein intellektueller und zugleich emotionaler Weg zur Gotteserfahrung. Es handelt sich um eine komplexe Lehre, die sich im frühen 13. Jahrhundert aus älteren Traditionen heraus in Südfrankreich entwickelte. Mystisch an der Kabbala ist das Bestreben, Gott durch das Studium der überlieferten Schriften nicht nur distanziert intellektuell zu erkennen, sondern «wahrhaftig in sich aufleben zu lassen», wie der kanadisch-jüdische Professor und Rabbi Jacob Immanuel Schochet (1935–2013) in einem Aufsatz erläutert.
Christentum: Unio mystica
Die christliche Mystik entstand in den Klöstern des Mittelalters als Gegenbewegung zur rational und philosophisch betriebenen Theologie an den Universitäten. «Der Glaube der Frommen vertraut, er diskutiert nicht», sagte der Zisterzienser Bernhard von Clairvaux (1090–1153) als einer der führenden Köpfe der mystischen Bewegung. Ziel der christlichen Mystik ist die «unio mystica», die Vereinigung mit Gott beziehungsweise das tiefe Spüren von Gottes unmittelbarer Gegenwart. Solche Momente der Erleuchtung können etwa bei geistlicher Lektüre, beim Gebet, in der Meditation und der Kontemplation entstehen.
Nebst Mystikern wie Meister Eckhart, Johannes vom Kreuz oder Ignatius von Loyola, dem Gründer des Jesuitenordens, traten auch Mystikerinnen in Erscheinung, die bis heute bekannt sind: etwa Teresa von Avila und Hildegard von Bingen. Niklaus von Flüe (1417–1787), der Schweizer Nationalheilige, war ebenfalls Mystiker. Die katholische Amtskirche verdächtigte die Mystik oft der Ketzerei. Auch die Reformatoren konnten ihr wenig abgewinnen, aber heute interessieren sich Christinnen und Christen aller Konfessionen verstärkt dafür.
Dieser Text ist eine Produktion der interreligiösen Zeitung «zVisite». zVisite ist eine Kooperation von reformiert., die evangelisch-reformierte Zeitung, Forum, katholisches Pfarrblatt Kanton Zürich, tachles, das jüdische Wochenmagazin, Lichtblick, Zeitung der römisch-katholischen Pfarreien des Kantons Aargau, Christkatholisch, Zeitschrift der Christkatholischen Kirche, Kirchenbote, evangelisch-reformierte Zeitung BS, BL, SO, SH und Zentralschweiz und dem katholischen Pfarrblatt Bern.
Kleines «Who is who» der Mystik