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Soll Wahrsagen mit Busse bestraft werden?

von Ernst Ritzi
min
04.09.2023
Die «IG Freiheit» hat einen Thurgauer Gesetzesparagrafen für ihren Schmähpreis «Rostiger Paragraf» nominiert, weil er gewerbsmässiges Wahrsagen unter Strafe stellt. Was steckt dahinter?

Mit der Bestimmung in Paragraf 32 des Thurgauer Einführungsgesetzes zum Strafrecht soll «Ausbeutung des Aberglaubens und der Leichtgläubigkeit» verhindert werden: «Wer gewerbsmässig den Aberglauben oder die Leichtgläubigkeit anderer durch Wahrsagen, Traumdeutung, Kartenlegen, Geisterbeschwören, Teufelsaustreibungen oder auf ähnliche Art und Weise ausbeutet, wird mit Busse bestraft.»

«IG Freiheit» zielt auf die falsche Frau…

Bei genauerer Betrachtung ist die Nomination der «IG Freiheit» wohl eher «aus der Hüfte heraus» erfolgt, wurde sie doch auf die Person von SP-Regierungsrätin Cornelia Komposch als derzeitige Chefin des kantonalen Departements für Justiz und Sicherheit bezogen. Komposch ist aber erst seit dem 1. Juni 2015 im Amt. Das an den Pranger gestellte Gesetz und die Formulierung des kritisierten Paragrafen sind aber mit dem Jahr 2005 datiert. Das hindert die «IG Freiheit » in ihrer Nominationsbegründung indes nicht, auf die «Frau» zu spielen: «Der Thurgau, und allen voran Regierungsrätin Cornelia Komposch, sagt Wahrsagern, Traumdeutern und Kartenlegern den Kampf an. Der Blick in die Kristallkugel und das Beschwören von Geistern ist in der Ostschweiz amtlich verboten.»

Im Zürcher Gesetz steht dasselbe…

Auch von der Sache her ist die Thurgauer Gesetzesbestimmung keineswegs so exotisch, wie die in Zollikon an der Zürcher Goldküste ansässige «IG Freiheit» glauben machen will. Der Paragraf 5 im Straf- und Justizvollzugsgesetz des Kantons Zürich könnte aus dem Thurgauer Gesetz abgeschrieben worden sein – oder war es umgekehrt? Die Redaktion des Kirchenboten hat die «verunglückte» Schmähpreis-Nomination der «IG Freiheit» zum Anlass genommen, einen bürgerlichen Thurgauer Politiker und Rechtsanwalt und einen ausgewiesenen Fachexperten im Umgang mit Sekten aus Zürich zu fragen, was sie von der an den Pranger gestellten Gesetzesbestimmung halten.

 

Das meinen Georg O. Schmid und Hermann Lei:

 

Strafbarkeit ist sinnvoll und angebracht


Georg O. Schmid, Leiter «Relinfo – Evangelische Informationsstelle Kirchen – Sekten – Religionen»


Zunächst ist festzuhalten, dass nicht die Praktiken wie Wahrsagen und Traumdeuten als solche unter Strafe stehen, sondern ihr gewerbsmässiger Einsatz unter Ausbeutung der Leichtgläubigkeit.

Ich bin für unsere Infostelle «Relinfo» vor ein paar Jahren in einem Thurgauer Dorf bei einer «Hausreinigung» durch den Heilsarmee-Offizier und international bekannten Geisterjäger Beat Schulthess dabei gewesen. Schulthess und sein Team haben versucht, einen von den Bewohnenden vermeintlich wahrgenommenen Spuk zu beseitigen. Da Schulthess und seine Leute gratis arbeiteten, war dies kein Verstoss gegen die zur Diskussion stehende Gesetzesbestimmung. Konkurrierende, die für einen ähnlichen Service hohe Honorare verlangt hätten, wären vermutlich mit dem besagten Gesetzesparagrafen in Konflikt gekommen.

In unserer Beratungsarbeit berichten uns Ratsuchende immer wieder, dass sie Wahrsagenden über Monate und Jahre Tausende, Zehntausende oder gar Hunderttausende von Franken überwiesen haben. Sie sind von den Wahrsagenden zum Glauben gebracht worden, dass nur die mit den Spenden finanzierten Rituale der Wahrsagenden ihr Wohl garantieren können. Dass solches strafbar ist, macht aus meiner Sicht Sinn. Auch wenn ein Strassenwahrsager einer Seniorin mit einer windigen Geschichte hundert Franken abknöpft, ist die ethische Differenz zum Taschendiebstahl nicht ohne Weiteres einsichtig. Strafbarkeit ist auch da sinnvoll und angebracht.

Hat im Strafgesetz nichts zu suchen


Hermann Lei, lic. iur., Rechtsanwalt und Kantonsrat SVP, Frauenfeld


Das Verbot von Wahrsagen, Traumdeutung, Kartenlegen, Geisterbeschwören und Teufelsaustreibungen ist tatsächlich nicht würdig, dass es im Strafgesetz steht. Man muss nicht alles, was man subjektiv nicht richtig findet, unter Strafe stellen und verfolgen.

Abgesehen davon, dass auch die Formulierung leicht «missglückt » ist, ist sie unnötig, weil der «Ausbeutung von Aberglauben und Leichtgläubigkeit» auch mit zivilrechtlichen Mitteln und mit dem Tatbestand «Betrug» im Strafrecht begegnet werden kann. Dass sich ähnliche Bestimmungen auch in anderen kantonalen Einführungsgesetzen zum Strafrecht finden, macht die Sache auch nicht besser.

Eine Entschlackung der Straftatbestände wäre bei einer nächsten Gesetzesrevision dringend angezeigt. In dieser Hinsicht ist ja auch schon einiges geschehen, wenn ich daran denke, dass früher das «Schiessen auf Hochzeiten» und «Grober Unfug» als Straftatbestände gegolten haben.

Die zu Recht an den Pranger gestellte Gesetzesbestimmung bezieht sich auf die «gewerbsmässige Ausübung» von Tätigkeiten wie Wahrsagen, Kartenlegen und Traumdeuten. Wenn solche Tätigkeiten seriös ablaufen, ist dagegen nichts einzuwenden. Jede erwachsene Person soll selbst entscheiden, ob sie sich darauf einlassen will und ob das für sie hilfreich ist. Wird dabei die Leichtgläubigkeit ausgenutzt oder entsteht daraus eine finanzielle oder andere Abhängigkeit, genügen im konkreten Fall die zivilrechtlichen Möglichkeiten.

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