Wie politisch darf Kirche sein?
Debatten über die Rolle der Kirchen in der Gesellschaft haben den 39. Deutschen Evangelischen Kirchentag in Hannover geprägt. Das fünftägige Protestantentreffen ging am Sonntag mit einem Appell zu mehr Toleranz zu Ende. Den Abschluss bildete ein grosser Open-Air-Gottesdienst auf dem Platz der Menschenrechte. Der nächste Kirchentag findet im Mai 2027 in Düsseldorf statt.
Toleranz bedeute nicht, sich wegzuducken und einfache Kompromisse einzugehen, sagte die Theologin Hanna Reichel in ihrer Abschluss-Predigt. Die in Princeton in den USA lehrende Theologieprofessorin erklärte, die Liebe Gottes ermutige auch dazu, zu widersprechen, wenn etwas falsch sei. Angst sorge für einen engen Blick, mit dem niemand Politik machen sollte.
Mehr als 150'000 am Kirchentag
Kirchentagspräsidentin Anja Siegesmund zeigte sich zum Abschluss zufrieden. Insgesamt haben den Angaben zufolge 81'000 Menschen ein Ticket für den Kirchentag gekauft. Das sind deutlich mehr als vor zwei Jahren in Nürnberg, damals kamen rund 70'000 Besucher mit Eintrittskarte auf den Kirchentag. Rechnet man die Besucher der Konzerte und der weiteren kostenlosen Angebote in der Innenstadt dazu, haben den Veranstaltern zufolge mehr als 150'000 Menschen am Kirchentag in Hannover teilgenommen.
Viele Teilnehmende und Gruppen aus den Kantonalkirchen der Schweiz besuchten den Kirchentag in Hannover. Die Schweizer Theologin und Bloggerin Evelyne Baumberger hielt beim Eröffnungsgottesdienst auf dem Opernplatz eine Predigt in leichter Sprache. Auch der Rat der Evangelisch-reformierten Kirche Schweiz (EKS) war vertreten. Die EKS-Verbindungsgruppe, bestehend aus Judith Borter, Thomas Bachofner und Daniel Schmid Holz, wollte das Angebot des Kirchentags in der Schweiz bekannter machen. Judith Borter ist Mitglied im Ständigen Internationalen Ausschuss des Kirchentags und in der Präsidialversammlung.
Grosses Interesse an Budde, Klöckner und Kässmann
Die als Trump-Kritikerin bekannt gewordene US-amerikanische Bischöfin Mariann Edgar Budde (65) ermutigte mit Blick auf die aktuelle Politik in den USA zur Geduld. Budde war mit einer Predigt am Tag nach der zweiten Amtseinführung von Trump weltweit bekannt geworden. Darin rief sie den anwesenden US-Präsidenten auf, Erbarmen und Mitgefühl mit den Schwächsten zu zeigen. Vom Publikum des Kirchentags in Hannover wurde sie mit stehenden Ovationen empfangen.
Bundestagspräsidentin Julia Klöckner stellte sich der Diskussion um ihre Aussage, wonach sie sich von den Kirchen weniger Stellungnahmen zu tagesaktuellen Themen erhoffe. Die Kirche müsse sich zu Sinnfragen äussern, bekräftigte Klöckner. Ihre Äusserungen waren auf teils scharfen Widerspruch gestossen.
Mit die meisten Zuhörerinnen und Zuhörer zog am Samstag die frühere Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Margot Kässmann, an. Sie rief vor rund 5000 Menschen zu mehr Gottvertrauen in einer kriegs- und krisengeprägten Zeit auf.
Resolution für ein AfD-Verbot
Am Nachmittag verabschiedete der Kirchentag in Hannover eine Resolution für ein AfD-Verbot. Sie erreichte bei einer Veranstaltung mit dem Vorsitzenden des Weltkirchenrats, Heinrich Bedford-Strohm, das notwendige Quorum von 500 Stimmen. Damit reagierten die Teilnehmenden auf die Einstufung der AfD als gesichert rechtsextremistische Bestrebung durch das Bundesamt für Verfassungsschutz.
Das Treffen in Hannover stand unter der biblischen Losung «mutig – stark – beherzt». Im Mai 2027 ist der Kirchentag nach 1973 und 1985 zum dritten Mal in der nordrhein westfälischen Landeshauptstadt Düsseldorf zu Gast. Der Deutsche Katholikentag im kommenden Jahr in Würzburg steht unter dem Leitwort «Hab Mut, steh auf!».
Wie politisch darf Kirche sein?