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«Bei uns sitzen eher die Schafe im Publikum»

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01.01.2016
Das Theaterkabarett Birkenmeier tritt mit einem Extraprogramm für die Brot-für-alle-Kampagne auf. Sibylle Birkenmeier über die Beziehung zum Hilfswerk, über kritisches Denken, Religion und Lachen.

Kirchenbote: Frau Birkenmeier, Sie machen politisches Kabarett und zeigen Missstände auf. Finden Sie die Welt zum Lachen oder Heulen?
Sibylle Birkenmeier: Ich muss mich nicht entscheiden. Ich lache, ich heule, beides hintereinander.
Sie und Ihr Bruder Michael Birkenmeier spielen Schutzengel von Fukushima, ein Sans-Papiers-Kind, virtuelle Realität und erbarmungslose Leistungsgesellschaft und bringen das Publikum damit zum Lachen.
Wir wollen das, was wir erleben spielen. Wir leisten uns diesen Blick. Wir arbeiten auch, um uns das Fröhlichkeitsgleichgewicht zu erhalten.
Ist es frustrierend, wenn man den Finger auf wunde Punkte legt, aber die Wunden nie verheilen?
Nein, wir haben nie das Gefühl, wir müssten die Welt retten oder gar lenken. Wir hatten noch nie die Illusion, dass wir eine gesellschaftliche Wunde heilen könnten.
Sie treten demnächst im Rahmen der Kampagne der Hilfswerke «Brot für alle», «Fastenopfer» und «Partner sein» auf und haben dafür ein extra Programm kreiert.
Ja, es heisst «Es reicht!» Das bedeutet einerseits: Es ist genug im Sinn von «jetzt isch gnueg Heu dunne!» Andererseits bedeutet es: «Es ist genug für alle da.»
Das Thema der Kampagne lautet «Mehr Gleichberechtigung heisst weniger Hunger». Teilen Sie die Meinung?
Wenn man auf die Ursachen von Hunger schaut, dann entspringen diese dem männlich geprägten Verbrauchsdenken. Und weniger aus dem weiblichen Haushalten mit Kräften, Ressourcen, und so weiter.
Armut und Hunger haben doch andere Ursachen als fehlende Gleichberechtigung: Etwa Raubbau an der Natur, korrupte Regierungen, unser Lebensstil?
Natürlich, es gibt ganz verschiedene Ursachen. Aber ich habe so viele Berichte von Kindern und Frauen aus Notgebieten gehört, die erzählen, wie es ihnen geht und was sie gegen die Armut unternehmen Männer hingegen flüchten sich als erste zum Alkohol oder werden in Banden verwickelt, so dass sie nicht mehr fürs Überleben sorgen können. Ich beobachte, dass Frauen diejenigen sind, die auch in der grössten Not einen Haushalt aufrecht erhalten, damit die Kinder wenigstens so etwas wie ein Heim haben. Das ist nicht Theorie, sondern eine Beobachtung. Die Regierungen ihrerseits jedoch verhalten sich nach der Logik des männlichen Denkens.
Teilen Sie die Anliegen von «Brot für alle»?
Absolut. Das Hilfswerk ist ein Gesprächspartner. Die Leute dort haben nicht das Gefühl, sie könnten die Welt schnell verändern. Aber sie machen eine Analyse und leisten Denk- und Auswertungsarbeit. Diese wiederum ist verbindlich für viele, die sich in Projekten engagieren. Das Hilfswerk ist eine Denkbrutstätte.
Was greifen Sie im Programm auf?
Unsere imperialistische und zusammenhangslose Art zu denken, die ich für sehr männlich halte, und was sie alles bewirkt, interessiert uns schon lange.
Möchten Sie etwas bewirken mit ihren Vorstellungen?
Bei uns sitzen eher die Schafe des Systems im Publikum, weniger die leitenden Figuren, die wir bekehren müssten. Aber es ist wichtig, dass die Schafe wissen, woher der Wind weht. Und wes Brot sie essen. Wir möchten bei den Einzelnen eine Stimulation, eine positive Beweglichkeit initiieren. Wenn die Leute sagen: Ich kam müde herein und komme aufgeweckt heraus, haben wir es erreicht.
Sie haben dem Publikum auch schon «Berechtigungsscheine vom Amt für eigenes Empfinden» verteilt. Fehlt es am kritischen Denken?
Total. Wir wissen überhaupt nicht mehr, dass wir denken könnten.
Was heisst das?
Wir denken in den Bahnen, die uns vorgegeben worden sind.
Die möchten Sie auf der Bühne aufbrechen?
Das ist ein grosses Wort. Wir möchten einfach gut spielen und damit ein bisschen aufstacheln, sodass die Leute vielleicht mit uns einen Sprung wagen über den Zaun weg in ein etwas fremdes Gebiet. Oder auch eine Lücke finden um Rauszuschauen. Weil ihnen etwas von uns einleuchtet. Uns macht es extrem Spass, noch nicht Ausgesprochenes, noch nicht Gedachtes ins Wort zu bringen und auch extreme ernste Themen zu erleichtern ...auch durch Lachen!
Greifen sie auch religiöse Themen auf?
Für mich steckt immer alles drin. Also auch das Religiöse. Es gibt einen Genius, der einem das zuführt, was zu einem gehört und jeden dorthin führt, wo er sein muss. Das hat viel mit Vertrauen zu tun.
Sind Sie religiös?
Ich bin in tiefster Seele christlich. Ich wurde ganz still, als ich als Sechsjährige zum ersten Mal biblische Geschichten hörte, und wusste: «das ist heavy stuff». Als ich vierzehn war und mein Verlangen nach Religion zum ersten Mal als spürte, ging ich oft in die katholische Kirche. Um dort zu schauen, zu hören, zu schmecken. Später besuchte ich die protestantische Kirche, um zu hören und mitzudenken. Ich gehöre aber eindeutig nicht in eine Gemeinde. Ich stehe eher vor einer Gemeinde, eine die sich freiwillig ins Theater begibt. Das ist mein Ort geworden.
Machen sie auf der Bühne auch die Kirche zum Thema?
Ja, manchmal, liebevoll parodistisch. Damit auch die Kirche über sich selber lachen kann. Ich habe Respekt vor allen, die in die Kirche gehen in einer Zeit, in der sie sich fast dafür schämen müssen.
Und noch ein Gedanke zum Stichwort Entwicklungshilfe?
Ich selber komme mir in den Sinn. Ich mache mit mir Entwicklung und mit unserem Theaterkabarett auch etwas schweizerische Entwicklungshilfe.
Meinen Sie das ernst?
Schön wärs ja, wenn man anderen helfen könnte, sich zu entwickeln. Entwickeln muss sich aber wirklich jeder selber.



«Es reicht!»
Die Geschwister Sibylle und Michael Birkenmeier treten seit drei Jahrzehnten als Kabarettduo auf. Sie wurden mit dem Deutschen Kleinkunstpreis, dem Salzburger Stier und der Oltener Tanne ausgezeichnet und leben in Basel.
Für die Kampagne der Hilfswerke «Brot für alle», «Fastenopfer» und «Partner sein» kommen sie am 18. März nach Schaffhausen:
17 Uhr, Sommerlust, Rheinhaldenstrasse 8, Reservationen unter
Tel. 052 620 01 80.

Interview: Barbara Helg

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