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«Der grösste Teil der Muslime ist nicht radikal»

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01.01.2016
Seit Jahrzehnten verfolgt Open Doors die weltweite Diskriminierung und Vertreibung der Christen. Die Situation hat sich massiv verschlechtert, meint Patrick Schäfer, Leiter von Open Doors Deutschschweiz.

Herr Schäfer, seit ein paar Jahren ist die Christenverfolgung vermehrt ein Thema. Warum?
Die Situation hat sich leider verschlimmert. Der Weltverfolgungsindex, den Open Doors jährlich erstellt, zeigt, in welchen 50 Ländern die Verfolgung am gravierendsten ist. Es gibt noch etliche, die man in dieser Liste auch berücksichtigen müsste.

Lässt sich die Zahl der Opfer beziffern?
Wir schätzen, dass weltweit rund 100 Millionen Christen verfolgt und diskriminiert werden.

Werden auch andere Religionsgemeinschaften verfolgt?
Sicher. Die Christen sind jedoch mit Abstand am stärksten betroffen. Vor ein paar Jahren herrschte die Ansicht, die betroffenen Christen seien an ihrer Situation selber Schuld. Mit ihrem Auftreten provozierten sie ihre Vertreibung. Inzwischen ist der Öffentlichkeit bewusst geworden, dass man ihnen die Schuld dafür nicht geben kann.

Man verdächtigte die Christen, zu missionieren?
Viele vertraten die Meinung, die dortigen Menschen dürften ihre Religion nicht wechseln. Es ist ein Menschenrecht, dass jeder Mensch seine Religionszugehörigkeit wählen kann, unabhängig davon, wo er geboren wurde. Zudem: Heute werden Christen vertrieben, die seit tausenden Jahren dort leben, wie die Orthodoxe Kirche im Nahen Osten.

In Leserbriefen wird oft der Vorwurf geäussert, der Islam sei die Ursache der Christenverfolgungen.
Das ist eine gefährliche Aussage. Islam ist nicht gleich Islam. Unsere Vorstellung vom Islam ist seit dem 11. September stark gefärbt. Der grösste Teil der Muslime ist nicht radikal und lebt mit seinen christlichen MitbĂĽrgern friedlich zusammen. Es sind extremistische islamische Minderheiten, die in gewissen Ländern an die Macht gekommen sind und die den Krieg und die Verfolgung der Christen forcieren, etwa in Syrien oder im Irak. Der Grossteil der Bevölkerung jedoch ist kriegsmĂĽde. Leider werden diese Extremisten aus der ganzen Welt unterstĂĽtzt. Gemäss Bund sollen aus der Schweiz vierzig Dschihadisten in die Konfliktgebiete gezogen sein.

Arbeitet Open Doors mit muslimischen Gemeinschaften zusammen?
Wir sind mit ihnen im Gespräch. Wir lehnen den Kontakt mit ihnen nicht ab. Muslime werden von Gott genauso geliebt wie wir. In einem guten Gespräch kann man die Vorurteile abbauen, die ebenso auf der Seite der Muslime bestehen. Für sie gelten Westler als Christen. Entsprechend ist das Christentum negativ vorbelastet.

Aufgrund der KreuzzĂĽge?
Nein. Wegen der offenen Haltung des Westens zu Sexualität, Alkohol und Drogen. Der Islam bekämpft solch «moralischen Sittenzerfall». Viele Muslime setzen das Christentum gleich mit Prostitution und Pornografie und sehen es als schwache Religion an, die nicht erstrebenswert ist.

Wie sollten die Kirchen auf die Diskriminierung der Christen reagieren?
Verschiedene Landeskirchen lancieren Petitionen, die Unterschriften für die Betroffenen sammeln. Das ist eine gute Möglichkeit, um aktiv zu werden. Ich plädiere dafür, nicht Religionen und Länder zu verurteilen, sondern zu erkennen, dass die Verfolgung ein Stück weit dazugehört. Umso stärker sollten wir die betroffenen Christen unterstützen.

Was meinen Sie mit «die Verfolgung gehöre dazu»?
Da die christliche Botschaft auf Liebe und Gewaltlosigkeit setzt, gehören Christen in den Konflikten oftmals zu den ersten Opfern. Doch von diesem Weg der Nächstenliebe können wir als Gläubige nicht abweichen: Christen müssen Toleranz üben, ihre Feinde lieben und Vergebung leben.

Ist das nicht eine Ăśberforderung?
Ich weiss, dass ist ein grosser Anspruch und eine ernorme Herausforderung. Wer kann schon jemandem vergeben, der seine Familie ermordet hat? Dazu braucht es das Eingreifen Gottes.

Manche Experten führen die religiösen Konflikte auf soziale Ursachen zurück.
Das greift zu kurz. Schon die Bibel berichtet von Verfolgungen der ersten Gemeinden. Dort, wo Religionen aufeinanderstossen, entstehen Konflikte. Das ist im Glauben angelegt. Religionen sind etwas Existenzielles, das sich seine Gestaltung sucht; im schlechten Fall durch die Verfolgung von Andersgläubigen.

Andere werden vertrieben und vernichtet, um die eigene Identität zu stärken.
Ja.

Warum haben die Landeskirchen MĂĽhe von der Christenverfolgung zu reden?
Es ist schwierig, all die traurigen Schicksale und das Leid zu sehen. Man sollte ebenso erkennen, dass Christen in ihrer schwierigen Situation die Gegenwart Gottes, seinen Schutz und seine Bewahrung erleben. Manche erfahren selbst im Gefängnis eine innere Ruhe, die sich aus der Situation nicht erklären lässt. Viele erleben in der Bedrängnis, dass Gott ihr Hirte ist, der für seine Schafe sorgt. So wie es in der Bibel steht.

Vor drei Jahren forderte die CVP, die Entwicklungshilfe in Länder, die Christen verfolgen, zu stoppen. Was halten Sie davon?
Wenig. Denn das würde nur die Ärmsten treffen. Es gibt sicher Länder, welche die Beiträge aus dem Ausland benutzen, um Minderheiten zu unterdrücken. Deshalb sollte man kontrollieren, wie die Gelder eingesetzt werden und dass die Betroffenen sie erhalten.
Sollte Glaubensverfolgung als Asylgrund anerkannt werden?
Das wäre gut. Ziel der Bestrebungen müsste jedoch sein, dass die Leute in ihrer Heimat bleiben können. Es ist schwierig für Menschen aus einem anderen Kulturkreis, in der Schweiz Fuss zu fassen.


Zum Bild: Nigeria: Das Haus dieser Frau wurde im Konflikt zwischen Muslimen und Christen zerstört. Ăśber das Friedensprojekt von mission 21 erhält sie einen Kleinkredit. | mission 21/Yakubu Joseph

Interview: Tilmann Zuber

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