«Das Bilderverbot der Reformatoren war ein Irrtum»
Schon der Hinweis auf dem Flyer blieb etwas unscharf, das Thema lautete «Über das Verhältnis von Kunst und Kirche». Die Gäste auf dem Podium waren aber hochkarätig und zogen knapp 80 Personen an. Diskutieren sollten der Kunsthistoriker Stanislaus von Moos, der Theologe und Jesuit Friedhelm Mennekes und der Autor und Literaturwissenschaftler Peter von Matt. Pfarrer Andreas Cabalzar moderierte den Anlass.
Zu Beginn lobten die Gäste die Architektur der Kirche Erlenbach. Die Mischung aus Historismus, Jugend- und Heimatstil, «diese Eleganz und Feingliedrigkeit», sei gelungen. Mennekes würdigte die Spannung, die die archaischen Kunstwerke des Obwaldner Plastikers Kurt Sigrist in der Kirche erzeugen. Sigrist sass ebenfalls im Publikum, seine Objekte sind im Rahmen der Aktion «Kulturkirche» ausgestellt. Gleich hinter den Referenten thronte das begehbare Werk «Zeitraum Hirsch/Lebensraum» mit einem grossen Geweih.
Epische Monologe
Die Fragen, die Cabalzar stellte, blieben dann so wolkig wie das Thema. Auf die Frage, wo die Kunst heute in der Gesellschaft ihren Platz habe, holten von Moos und Mennekes zu epischen Monologen aus. Die beiden schweiften oft ab, verloren sich manchmal vom Hundertsten ins Tausendste, ohne dass sie der Moderator je auf den Boden zurückholte.
Mennekes und von Moos wissen enorm viel über Kunst und Religion, verwiesen auf Architekten, Maler, Ausstellungen, Bücher, konnten ihr Wissen aber nicht bündeln und fanden den Fokus nicht. So erlahmte die Aufmerksamkeit der Zuhörer. Nur Peter von Matt verstand sich auf verständliches Erzählen. Als die Monologe um das Bilderverbot der Reformatoren kreisten, schaltete er sich ein: «Das Bilderverbot ist ein Irrtum. Wenn die Bilder zu Götzen werden, soll man sie entfernen. Aber wenn sie eine Meditation auslösen und auf den Horizont des Lebens lenken, sind sie gerechtfertigt.»
Antonello da Messina
Von Matt illustrierte dies anhand eines Gemäldes, das er in Genua gesehen habe: «Das Schweisstuch der Veronika» von Antonello da Messina. «Der dort kaum sichtbare Christuskopf hat mich angefallen und verwandelt. Er ist ganz anders gemalt als die herkömmlichen Darstellungen, die alle irgendwie lächerlich sind. So hätte Jesus aussehen können.»
Dass die Götzenanbetung aus der Kirche verschwunden sei, sei sicher richtig. Aberglauben habe dort nichts verloren. Aber: «Seien wir ehrlich, wir sind doch alles Magier. Jeder hat seine Glückszahl oder ordnet seinen Schreibtisch nach seinem persönlichen Aberglauben.»
Mennekes outete sich als bildskeptischer und «gebrochener» Katholik, der die Rekatholisierung der protestantischen Schweizer Kirchen mit Argwohn beobachte (er erwähnte die Stola und weiteren «Fummel»). Cabalzar entgegnete, dass die Reformation vor allem auch eine Bildungsrevolution gewesen sei, die zu selbstständigem Denken habe anleiten wollen. Ansonsten lösten die provokativen Worte von Matts keine weitere Diskussion aus.
Immer lauter tuschelten und scharrten dafür die 20 Konfirmandinnen und Konfirmanden in den hinteren Bankreihen. Cabalzar wandte sich nach einer Stunde unvermittelt ans Publikum: Ob jemand eine Frage habe? Niemand hatte eine Frage. Der Versuch, das Publikum nach den Monologen plötzlich zum Dialog zu bringen, scheiterte wenig überraschend.
Auftritt der Konfirmanden
Schliesslich stand aber doch jemand aus dem Publikum auf und sagte leicht entnervt: «Ich habe – wie wahrscheinlich auch die Jugendlichen – fast nichts verstanden.» Er bat die Podiumsteilnehmer, in das Geweihobjekt einzusteigen und «in zehn Worten» zu sagen, was sie dabei erlebt haben. Das Publikum applaudierte. Überraschend nutzen auch die Konfirmanden die Chance, dieses Kunstwerk zu testen, und gingen spontan nach vorne.
Zunächst schien die Veranstaltung nun aus dem Ruder zu laufen, doch die Konfirmanden gruppierten sich lässig um die Referenten und brachten auf eine entspannte Art frischen Wind. Die Referenten ihrerseits äusserten sich zum Geweih-Kunstwerk und brauchten dazu wesentlich mehr als zehn Worte. Am besten wieder von Matt: Es erinnere ihn an seine «Karriere als Kirchengänger», nämlich an die katholischen Gottesdienste seiner Jugend mit diesen «unendlich langweiligen Rosenkränzen».
Den Schlusslacher erntete er auch. Als Cabalzar erläuterte, wie die Kunstwerke in der Kirche auch die Kasualien veränderten, zum Beispiel Hochzeiten, meinte von Matt lachend: «Das Hirschgeweih ist wohl ein etwas heikles Bild für Hochzeiten.»
Dieser Artikel stammt aus der Online-Kooperation von «reformiert.», «Interkantonaler Kirchenbote» und «ref.ch».
Matthias Böhni / ref.ch / 8. September 2016
«Das Bilderverbot der Reformatoren war ein Irrtum»