«Die Anonymität des Chats senkt die Hemmschwelle, Hilfe zu suchen»
Klaus Rütschi, seit einem Jahr hat die Dargebotene Hand Zentralschweiz eine Kooperation mit der Reformierten Kirche Kanton Luzern. Dadurch konnte die Chatseelsorge ausgebaut werden. Wie lautet Ihre erste Bilanz?
Es motiviert ungemein, wenn man einen Partner hat, der die gleichen Ziele verfolgt und professionell arbeitet. Das zeigt sich schon in den ersten Umfragen und Analysen, die gemacht wurden. Zudem sehen wir die rasant steigende Nachfrage. Die Anonymität des Chats senkt die Hemmschwelle, Hilfe zu suchen. Daher war es für uns klar, dass eine Zusammenarbeit sinnvoller ist, als etwas komplett Neues aufzubauen. Die Reformierte Kirche Kanton Luzern unterstützt uns enorm, durch die professionellen Rahmenbedingungen können wir weiterwachsen.
Also eine sehr positive erste Bilanz. Hat Sie das überrascht?
Ja, durchaus. Ich hatte anfangs Bedenken, dass durch die kirchliche Strukturen Ideen in langen Gremiensitzungen versanden. Doch das Gegenteil ist der Fall: Die Zusammenarbeit ist effizient, pragmatisch und voller Rückenwind.
Welche Themen und Anliegen werden in der Chatseelsorge besonders häufig angesprochen?
Die Suizidandrohung ist im Chat doppelt so hoch wie am Telefon. Am Telefon gibt es eine menschliche Stimme, die oft stabilisierend wirkt. Im Chat fehlt diese, was die Hemmschwelle weiter senkt. Konkret kündigen 3 bis 4 Prozent am Telefon an, sich das Leben zu nehmen, im Chat sind es doppelt so viel, nämlich 8 Prozent. Bei 200'000 Hilfesuchenden schweizweit jährlich und 20'000 in der Zentralschweiz sind das alarmierende Zahlen. Neben Suizidalität sind Krankheiten, Einsamkeit und Beziehungsprobleme häufige Themen.
Wie hat sich die Nachfrage nach Seelsorge allgemein entwickelt?
Während der Corona-Zeit gab es eine regelrechte Explosion mit einem Anstieg von bis zu 40 Prozent. Letztes Jahr waren es noch fast 15 Prozent, was immer noch hoch ist.
Zurück zur Chatseelsorge. Ist es nicht manchmal frustrierend für die Beraterinnen und Berater, nur schriftlich zu kommunizieren?
Doch, weil Emotionen fehlen. Am Telefon kann man spüren, ob jemand erleichtert ist oder verzweifelt bleibt. Im Chat fehlt dieses Feedback. Zudem dauert die Kommunikation länger, weil man die Antworten abwarten muss.
Welche Lösungen gibt es für diese Probleme?
Wir arbeiten mit der Fachhochschule Nordwestschweiz an einer Studie zur Ethik zum Einzatz von Chatbots. Diese könnten einfache Anfragen übernehmen, um Ressourcen für komplexe Gespräche frei zu machen. Zudem haben wir dank der Reformierten Kirche Kanton Luzern die Ausbildung ausgeweitet und die Qualitätssicherung verstärkt.
Welche Vorteile bringt die Zusammenarbeit mit der Reformierten Kirche sonst noch?
Wir profitieren von einem konstruktiven Austausch und innovativen Ideen. Die Reformierte Kirche bringt frische Impulse, etwa zur Frage, wie anonyme Seelsorge weiterentwickelt werden kann. Diese Partnerschaft, die hoffentlich langjährig sein wird, ermöglicht uns, unsere Arbeit effektiver und nachhaltiger zu gestalten.
Gemeinsames Pilotprojekt für drei Jahre
Die Reformierte Kirche im Kanton Luzern bietet Seelsorge in Kirchgemeinden, Spitälern, Gefängnissen und weiteren Institutionen an. Aufgrund der zunehmenden Nachfrage im Chatbereich kam es im Jahr 2024 zur Zusammenarbeit mit der Dargebotenen Hand Zentralschweiz.
Im dreijährigen Pilotprojekt beteiligt sich die Reformierte Kirche Kanton Luzern am Ausbau der Chatseelsorge bei der Dargebotenen Hand Zentralschweiz. Die Synode hat dafür 95'000 Franken gesprochen. Seit Oktober 2024 ist die Chatfunktion zudem auf der Website reflu.ch eingebunden. Mehr dazu unter www.reflu.ch/seelsorge.
«Die Anonymität des Chats senkt die Hemmschwelle, Hilfe zu suchen»