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Die zerrissene Stadt

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14.03.2018
Mit Trumps Entscheid, Jerusalem als Hauptstadt Israels anzuerkennen, geriet der Nahost-Konflikt erneut in den Fokus des Weltgeschehens. Und noch immer geht es um Machtansprüche hüben und drüben. Von den Menschen in diesem Konflikt redet dagegen niemand.

Die Lage im Nahen Osten ist schon kompliziert genug und US-Präsident Donald Trump hat sie nur noch komplizierter gemacht, als er im Dezember vorigen Jahres verkündete, sein Land werde Jerusalem als Hauptstadt Israels anerkennen. Die weltweite Empörung war gross und wieder einmal kam es zu schweren Auseinandersetzungen zwischen palästinensischen Jugendlichen und israelischen Soldaten mit Toten und vielen Verletzten.

Komplexe AnsprĂĽche
Einzig der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanyahu beklatschte Trumps Entscheid euphorisch und meinte, die USA würde damit nur bekräftigen, was historisch bereits vor langer Zeit besiegelt wurde – genauer gesagt vor über 3000 Jahren, als König David Jerusalem zur Hauptstadt seines Königreichs auserkoren hatte. Aus arabischer Sicht zählt freilich ein anderes Faktum, nämlich die über viele Jahrhunderte währende muslimische Herrschaft über die Stadt, die erst 1917 mit der Eroberung durch die Briten beendet wurde.

Dreissig Jahre später, im so genannten Unabhängigkeitskrieg, bemächtigte sich dann der neu gegründete Staat Israel des Westteils von Jerusalem, während der Ostteil mitsamt der Altstadt in den Händen Jordaniens war. Im Sechstagekrieg von 1967 eroberte Israel zusammen mit dem Gazastreifen und dem Westjordanland auch Ostjerusalem. 1988, kurz nach Ausbruch der ersten Intifada, rief Jassir Arafat den Staat Palästina mit Ostjerusalem als Hauptstadt aus, was freilich nicht mehr als ein symbolischer Akt war.

Tatsächlich ist der Status von Jerusalem bis heute im Fokus immer wieder gescheiterter Friedensbemühungen: Wem gehört diese Stadt mit den Heiligtümern der drei Religionen Judentum (Klagemauer), Islam (Al-Aqsa Moschee und Felsendom) und Christentum (Grabeskirche)? Soll sie allen gehören, soll sie aufgeteilt werden oder, wie Trump meint, einzig zur Hauptstadt Israels werden?

Eine Stadt, zwei Staaten?
«Niemals, niemals!», sagt Khaled empört. Der 15-Jährige gehört zu jenen Palästinensern, die nach Trumps Entscheid auf die Strasse gingen, Reifen anzündeten und Steine warfen. Und er gehört zu jenen Palästinensern, die noch nie in Jerusalem waren – und das, obschon er in dem nur 15 Kilometer entfernten Ramallah aufgewachsen ist. Wer nämlich nicht über einen speziellen Ausweis verfügt oder ein bestimmtes Alter erreicht hat – 55 bei Männern, 53 bei Frauen –, darf das von den Israeli besetzte Westjordanland nicht in Richtung Jerusalem verlassen. Das betrifft den weitaus grössten Teil der palästinensischen Bevölkerung. Für Menschen wie Ahmed ist Jerusalem zu einer grossen Sehnsucht geworden und vielleicht gerade deshalb eine «so emotionale Sache», wie er selbst sagt. In jedem Fall spielen religiöse Ansprüche für ihn keine grosse Rolle mehr. Es geht ihm um Politisches: «Palästina soll endlich ein eigener, ein befreiter Staat werden, und Ostjerusalem unsere Hauptstadt.» Der Westen der Stadt mag zum Sitz des Staates Israel werden, das sollen die Juden dann unter sich ausmachen.

Ein Land, eine geteilte Stadt, zwei Staaten? Jerusalem ist längst zum Symbol einer Lösung des so genannten Nahost-Konflikts geworden, die von den meisten anderen Ländern favorisiert wird: sowohl Israel als auch Palästina soll ein eigenständiger Staat werden. Zwar ist die Frage, wie die Grenze zwischen den beiden Staaten verlaufen soll, noch offen. Naheliegend ist, dass die palästinensische Bevölkerung vor allem in Ostjerusalem sowie im Westjordanland leben würde. Wer einmal durch die palästinensischen Gebiete gereist ist, weiss aber, wie theoretisch diese Zweistaaten-Lösung inzwischen geworden ist. Schätzungen zufolge leben heute 300’000 Siedler in und um Ostjerusalem. Weitere 350’000 wohnen in Siedlungen innerhalb des Westjordanlandes, das deshalb so zerlöchert ist wie ein Schweizer Käse. Um die Zweistaaten-Lösung umzusetzen, müssten all diese Menschen ins jetzige Israel umgesiedelt werden.

Das ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt jedoch ein unmögliches Unterfangen. Die israelische Regierung treibt den Siedlungsbau, der von der UNO übrigens als völkerrechtswidrig erachtet wird, ungehemmt weiter. Für viele Israelis ist das heutige Westjordanland nämlich jener Ort, an dem sich schon ihre Vorfahren Abraham, Isaak und Jakob aufhielten, und also angestammtes Land mit Jerusalem als dessen heiligem Zentrum. Kein Wunder hat man in weiten Teilen Israels den Entscheid von Trump als Bestätigung für den politischen Kurs der Regierung Netanyahus insgesamt aufgefasst.

Wo bleiben die Menschen im Konflikt?
Swetlana Alexijewitsch, Nobelpreisträgerin aus Weissrussland, schrieb einmal: «Der Mensch ist grösser als der Krieg.» Deshalb wolle sie nicht wie die Politiker und Historiker über den Krieg reden, sondern über die Menschen im Krieg. Auch im Streit ums Heilige Land geht es nur selten um die Menschen. Vielmehr werden seit Jahren und Jahrzehnten die Toten und Verletzten auf beiden Seiten aufgerechnet, also in Zahlen übersetzt. Dabei ist nicht von Ahmed, dem Automechaniker, die Rede, sondern bloss von einem «radikalen Palästinenser», nicht vom dreifachen Familienvater Uri, sondern einem «fanatischen Siedler», und auch nicht vom Teenager Dori, sondern von einem «israelischen Soldaten».

Tatsächlich ist genau dies ein nicht zu unterschätzendes Hindernis für ein befriedendes Zusammenleben: Es gibt – ganz buchstäblich gemeint – weder für Palästinenser noch für Israelis einen Raum, wo sie sich als Menschen begegnen können. Sie sehen sich vielmehr immer nur in der Rolle des Besatzers oder eines Sicherheitsrisikos. Wie das Leben in Ramallah und Tel Aviv ist, das wissen sie voneinander nicht, denn dazwischen ist eine Mauer.

Samira, Achmeds Mutter, erinnert sich noch gut an die Zeiten vor 1967, in denen sie zusammen mit Juden und Christen lebte, Tür an Tür sozusagen. «Wir hatten dieselben Sorgen: die Ernte, unsere Kinder, die Angst, dass unser Land auseinandergerissen wird», sagt die heute 78-jährige Bäuerin. Auch Nari hat diese Zeiten erlebt. Er ist als Christ in Ostjerusalem aufgewachsen, lebte dann viele Jahre in Jericho, jetzt ist er nach Jerusalem zurückgekehrt. Und er hat genug von diesem Konflikt, der nie enden will, und der die Christen im Land immer mehr marginalisiert. War vor hundert Jahren noch gut ein Drittel der palästinensischen Bevölkerung Christen, sind es heute keine zwei Prozent mehr. «Wäre ich jünger, ich würde auswandern», sagt Nari nicht ohne Verbitterung. Ob Christen, Muslime oder Juden, die Menschen im Heiligen Land seien längst nur noch zum Spielball der Politiker geworden. Das sieht auch Samira so: «Vielleicht sollten wir einfach aufhören, mit Fahnen zu schwenken und stattdessen unsere Politiker aus dem Land jagen. Sollen die doch selber schauen!»

Klaus Petrus, kirchenbote-online, 14. März 2018

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