Baselland, Basel-Stadt, Luzern, Schaffhausen, Schwyz, Solothurn, Uri, Zug
«Treffpunkt Politik und Kirche»

«Ein Netzwerk, bei dem niemand durch die Maschen fällt»

von Noemi Harnickell
min
30.10.2025
Alle zwei Jahre geben die drei Landeskirchen bei «Treffpunkt Politik und Kirche» Vertretern der Politik einen thematischen Einblick in ihre gemeinnützigen Leistungen. Im Fokus standen dieses Jahr die Diakonie und ihre gesellschaftliche Bedeutung.

Armut und Not sind in der Schweiz unsichtbar. Das gilt besonders für Kantone wie Baselland. Bettler oder gar Obdachlose, ein unverkennbares Merkmal steigender Armut, sind in den charmanten Altstadtstrassen von Sissach, Liestal oder Waldenburg kaum anzutreffen. Dennoch sind die sozialen Ämter überlastet, Betroffene warten oft Monate auf Unterstützung. Das macht soziale Arbeit zu einer wichtigen Schnittstelle zwischen Politik und Kirche.

Gemeinsamer Einsatz für Menschen in Not

Am 16. Oktober präsentierten die drei öffentlich-rechtlichen Landeskirchen (die evangelisch-reformierte, die römisch-katholische und die christ­katholische Kirche) das Thema «Diakonie − Einsatz für Menschen in Not». In kurzen Ansprachen stellten Tobias Dietrich, Leiter der Fachstelle Diakonie (Reformierte Kirche Baselland), und Michael Frei, Leiter des Fachbereichs Diakonie und Sozialarbeit (Römisch-katholische Kirche Baselland), das Projekt «Spiritualität und Seelsorge im Alter» sowie den Kirchlichen Regionalen Sozialdienst (KRSD) vor.

Kirchen sind für den Staat ein wichtiger Player im Sozialbereich

«Ein Netzwerk, bei dem niemand durch die Maschen fallen soll» – so beschreibt Tobias Dietrich die Aufgabe der Diakonie. Es ist ein Netzwerk, das man sich auch vom Sozialstaat erhoffen möchte. Die Realität sieht jedoch anders aus: Bürokratie und Arbeitskräftemangel führen oft zu langwierigen Prozessen, die Betroffene in Schulden, Depressionen und Armut führen können. Ist der Teufelskreis erst losgetreten, ist es allein mithilfe staatlicher Institutionen schwierig, ihn zu durchbrechen. Die Kirchen sind ein wichtiger Player im Sozialbereich und ergänzen die staatlichen Angebote mit ihren eigenen. So zeigte eine Studie der Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW) 2023, dass die Landeskirchen in Baselland jährlich rund 525‘000 Arbeitsstunden in soziale Angebote investieren. Dies entspricht etwa 274 Vollzeitstellen mit einem Gegenwert von 33,6 Millionen Franken.

Ein nicht zu vernachlässigendes Problem, vor dem Baselland steht, ist der überdurchschnittlich hohe Altersquotient im Kanton. Der aktuelle Bettenbestand in Alters- und Pflegeheimen wird den Bedarf in den kommenden Jahren nicht decken können. Immer mehr Menschen werden in der Folge zu Hause alt, wodurch das Risiko für Altersarmut und -einsamkeit markant ansteigt.

Die Kirche hat Möglichkeiten, aufs Individuum einzugehen, was dem Staat so nicht möglich ist.

Kirchen sind nahe bei Menschen

Dieses Jahr hat das ökumenische Pilotprojekt «Spiritualität und Seelsorge im Alter» gestartet, das das bereits bestehende seelsorgerische Angebot in Heimen um die gezielte Betreuung in privaten Haushalten erweitert. Zudem unterstützt der KRSD die kantonalen Ämter. Sowohl der KRSD wie auch die Altersseelsorge stehen allen Betroffenen zur Verfügung, unabhängig von der Konfession. Tobias Dietrich ist überzeugt, Kanton und Kirche ergänzen sich: «Die Bezeichnung ‹Landeskirche› sagt es schon: Wir verstehen uns in einem partnerschaftlichen Gegenüber zur Politik, da wir uns beide dem Wohl der Menschen verpflichtet fühlen.»

Dietrich betont jedoch auch die Herausforderungen, vor denen staatliche Sozialämter stehen: «Staatliche Sozialarbeit wirkt innerhalb von gesetzlich definierten sozialen Leistungen und muss daher bürokratischer organisiert und abhängig von politischen Mehrheiten funktionieren», erklärt er. «Uns als Kirchen kommt unsere dezentrale Struktur zugute. Wir haben durch die Kirchgemeinden und Pfarreien in vielen Dörfern ein breites Netz. Das erleichtert uns den Zugang zu den Menschen.» Das mache die Kirche auch in Momenten handlungsfähig, wenn staatliche Hilfe noch nicht greift oder Abklärungsprozesse zu lange dauern.

Sichtbarmachen der Leistungen

Landratspräsident Reto Tschudin sieht in dem Austausch einen grossen Mehrwert. «Die Zusammenarbeit zwischen der Kirche und dem Kanton ist historisch gewachsen», sagt er. «Die Kirchgemeinden sind nahe an den Menschen dran. Davon kann die Politik profitieren.» Dazu kommt, dass es keine andere Institution gibt, für die der Staat Steuern einzieht. Das Verhältnis sei daher inhärent partnerschaftlich: «Diese Partnerschaft ist mit dem Geldfluss verbunden, aber auch mit der grossen Gegenleistung», so Tschudin. «Würden wir Kirche und Staat auf einmal voneinander entfernen oder anders organisieren, müssten wir die Leistungen anderswo einkaufen. Das Verhältnis muss daher partnerschaftlich sein, sonst wäre es ein Rückschlag.»

Auch Kirchendirektor Anton Lauber freut sich über das Treffen: «Das Sichtbarmachen der sozialen Leistungen hat für mich einen grossen Mehrwert. Es ist schön, dass es ein Netz ausserhalb der staatlichen Institutionen gibt. Mir ist diese Subsidiarität wichtig. Die Kirche hat Möglichkeiten, aufs Individuum einzugehen, was dem Staat so nicht möglich ist.»

 

Unsere Empfehlungen

St. Galler Kirche gewinnt Zwingli-Preis

St. Galler Kirche gewinnt Zwingli-Preis

«Sharing Community», das Projekt für neue liturgische Formen der St. Galler Kirche, wurde mit dem Zwinglipreis ausgezeichnet. Am vergangenen Sonntag nahmen Freiwillige zusammen mit Projektleiter Uwe Habenicht den Preis in Zürich entgegen. Ein Anerkennungspreis ging nach Rapperswil-Jona.