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Jenya Lavicka, Projektleiterin Ukraine-Hilfe Baselland

Es war der schlimmste Tag

von Tilmann Zuber
min
21.02.2023
Jenya Lavicka wanderte vor 16 Jahren aus der Ostukraine in die Schweiz ein. Heute koordiniert sie die Flüchtlingsarbeit im Baselbiet. Für sie war der Angriff der Russen traumatisch.

Ich erinnere mich genau an den 24. Februar, als Russland die Ukraine angriff. Es war der schlimmste Tag meines Lebens. Wir waren zu Hause und überlegten uns, wie wir dies unseren Kindern sagen konnten. Nicht jetzt, später und behutsam, dachten wir. Auf dem Weg zur Schule erfuhr meine Tochter davon. Darauf erlitt sie einen epileptischen Anfall, wir mussten mit ihr zum Notfall. Auf Facebook und Instagram bekam ich live mit, wie Freunde und Angehörige Richtung Westen flüchteten oder in der Metro von Kiew tagelang Schutz vor den Bomben suchten. Mein Herz war in tausend Teile zerbrochen. Ich fühlte mich so hilflos. Ich wusste: Hier in der Schweiz bin ich in Sicherheit, während Menschen dort um ihr Leben fürchten. Ich habe mich dafür geschämt. Am Abend trafen wir uns mit anderen Ukrainern auf dem Marktplatz in Basel und protestierten gegen den Krieg und für ein freies Land. Es tat gut, die Solidarität zu spüren.


Vor 16 Jahren kam ich als Praktikantin zu Novartis in die Schweiz, ich blieb hier hängen, heiratete und bin heute Mutter von Zwillingen. In Basel arbeitete ich in der Pharma- und Biotechbranche. Ursprünglich stamme ich aus Donezk in der Ost­ukraine. Seit dem russischen Angriff im letzten Jahr leben meine Mutter und meine beste Freundin mit ihrem Kind in der Schweiz. Viele Freunde blieben jedoch in der Ukraine. Sie sagen, es sei schlimm, aber sie hätten sich an den Krieg gewöhnt. Wie kann man sich daran gewöhnen?


Im März erhielten die Ukrainerinnen und Ukrainer in der Schweiz den S-Status. Ich bin mit meiner Mutter und meiner Freundin ins Asylzentrum gefahren, um sie anzumelden. Dort herrschte das absolute Chaos. Die Mitarbeiter des Staatssekretariats für Migration (SEM) waren mit den Menschenmassen völlig überfordert. Ich habe sie gefragt: «Braucht ihr Hilfe? Ich kann Ukrainisch, Russisch, Englisch und Deutsch.» So kam es, dass ich die nächsten Tage bis in die Nacht hinein dort arbeitete.

 

Ich schämte mich, dass ich hier nichts tun konnte und in Sicherheit war.


Am dritten Tag erklärte mir das SEM, ich könne nicht länger unentgeltlich arbeiten, sie wollten mich bezahlen. So wurde ich vom Hilfswerk der Evangelischen Kirchen der Schweiz (Heks) angestellt. Heute arbeite ich beim Heks als Projektleiterin der Koor­dinationsstelle «Flucht und Ankommen» in Baselland. Ich bin für die Infor­mation, die Koordination und die Vernetzung der verschiedensten Partner verantwortlich, seien es Kirchgemeinden, Hilfswerke oder Behörden sowie Ukrainerinnen und Ukrainer. Wir aber von Angang an auch andere Geflüchtete ansprechen und einbeziehen.


Die Solidarität der Bevölkerung war riesig. Viele Ukrainer glaubten zunächst, der Krieg sei bald zu Ende. Inzwischen haben sie verstanden, dass sich der Krieg noch lange hinziehen könnte, und sie richten sich auf eine längere Zeit im Ausland ein. Das grösste Problem ist das Deutsch. Kinder erlernen die Sprache in der Schule relativ einfach, je älter man wird, umso mehr Mühe bereitet sie. Viele Ukrainerinnen leben bei Gastfamilien. Dauergast zu sein, ist für beide Seiten schwierig, deshalb sollten die Ukrainer ihre eigene Wohnung finden. Und viele haben in der Heimat gearbeitet. Hier nichts zu tun, fällt ihnen schwer.


Wann der Krieg endet? In unseren Träumen schon heute. Doch wir sind realistisch geworden. Schon 2014 hatten wir das Abkommen von Minsk und obwohl die Ukraine grosse Gebiete im Osten und die Krim abgetreten hatte, wurde der Frieden gebrochen. Deshalb brauchen wir jetzt den Sieg und einen richtigen Frieden.

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