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Alex Kühni, Fotojournalist

Mit Fotos die Würde geben

von Anouk Hiedl, Pfarrblatt
min
21.02.2023
Zu Alex Kühnis Arbeitsausrüstung gehören neben zwei Fotokameras, drei Objektiven und einer Drohne auch eine kugelsichere Schutzweste, ein Helm und Verbandsmaterial. Seit zehn Jahren reist der freischaffende Berner Fotojournalist in Kriegs- und Krisengebiete – für ihn ein Privileg.

Von allen möglichen Spezialbereichen meines Berufs interessiert mich die Kriegsfotografie am meisten. Ob im Libanon, im Irak oder in der Ukraine, ich suche nach Antworten oder versuche, zumindest besser zu verstehen, wie es zu solchen Konflikten kommen kann. Bislang erkenne ich immer das gleiche Prinzip: Jemand aus der obersten Schicht trifft einen (macht)politischen Entscheid, und die unterste Schicht badet es aus.


Auf Fotoprojekte in Krisengebiete bereite ich mich intensiv vor. Die Reisen sind immer schwierig. Ich informiere mich vorgängig gut über die Geschichte und die Kultur der Länder, auch die Bibel und den Koran habe ich dazu ganz gelesen. Meine Recherchen laufen zudem über ein geschlossenes Netzwerk aus Journalistinnen und Journalisten sowie logistischen Helfern. Letztere, sogenannte Fixer, kennen sich vor Ort sehr gut aus und machen zum Beispiel Schwimmbrücken oder Zugsverbindungen aus, wenn es kaum mehr welche gibt. Wenn die vorgängig eingeholten Referenzen gut sind, vertraue ich meinem Fixer.
Vor einem Fotoeinsatz studieren wir die Karten des Frontverlaufs sorgfältig. Für Berichte aus der Ostukraine übernachteten wir vergangenen Oktober in Charkiw und fuhren tags darauf ohne Internetzugang Richtung Front. An einer Tankstelle kamen wir an einem toten ukrainischen Soldaten vorbei und kehrten, schon unter Artilleriebeschuss, schleunigst um. Die Front hatte sich in der Zwischenzeit bereits verschoben.


In Frontnähe hört man dauernd Artilleriefeuer. Man gewöhnt sich relativ schnell daran und wird unweigerlich zum Militärexperten. Hinausgehende Geschosse klingen anders als solche, die hereinkommen, und man checkt ständig ab, wo die nächste Deckung ist, auch beim Einkaufen zu Fuss. Einmal gerieten wir beim Fotografieren in einen Artillerie­kegel. Wir legten uns zwischen Häuserfronten in Deckung und stellten unsere Handys in den Flugmodus, denn mobile Signale werden mitunter vom Feind getrackt. Dann massen wir die Zeit, welche die Russen zum Nachladen brauchten. Während dieser jeweils 20 bis 35 Sekunden konnten wir stückweise zum Auto zurückrennen, das wir zwei Kilometer weiter zurückgelassen hatten. Unser Fixer zog zum ersten Mal seinen Helm an. Wir hatten Angst, doch je weiter wir wegkamen, desto mehr sank der Druck bis hin zu einer Art Euphorie, weil uns nichts passiert war. Später hatte ich auf meiner Kamera Bilder von einer Rauchsäule und umgekommenen Zivilisten, die ich reflexartig gemacht hatte, bevor ich realisierte, was um uns herum passierte.

 

Im Krieg ist der ­Kontrast von Hochs und Tiefs an Menschlichkeit unglaublich gross.


Es ist nicht so, dass ich das Risiko suche. Bungee-Jumping oder Fallschirmspringen sind nicht mein Ding. Was ich in Kriegs- und Krisengebieten erlebe, ist nichts im Vergleich zu dem, was die Menschen dort aushalten müssen. Letztes Jahr war ich für Fotos dreimal während zweier Wochen in der Ukraine. Ich musste nicht kämpfen, entschied selbst, ob ich an die Frontlinie wollte, und konnte bald wieder heim. Mein Übersetzer ist seit 2014 dort. Die Menschen vor Ort können sich nicht aussuchen, ob sie hinschauen wollen oder nicht. Es ist nur fair, dass ich das für meine Arbeit auch durchmache.


In irakischen Verwundetensammelstellen kamen manchmal mehr Verwundete rein, als die Sanitäter bewältigen konnten. Da legte ich die Kamera weg und half beim Verarzten. Das Nötigste weiss ich aus Kursen der Armee oder brachte es mir selbst bei. Anfangs hat mir das, was ich mitunter sehe, mehr ausgemacht. Mittlerweile bin ich sehr abgehärtet. Ich träume davon – das ist ein normaler Verarbeitungsprozess im Hirn. Eine posttraumatische Studie vergleicht Kriegserlebnisse mit Radioaktivität. Wenn du eine Dosis davon aufnimmst, braucht es eine Weile, sie abzubauen – ein Jahr in Afghanistan zu kämpfen, ist eine Überdosis. Fotografieren ist auch eine Art, mit Gräueln umzugehen. Vor Ort bin ich im Dokumentationsmodus, ich fotografiere alles, publiziere aber nicht alles. Die Redaktionen filtern die Bilder ein zweites Mal, manche kann man nicht veröffentlichen.


Meine Fotos entstehen an Orten, wo Geschichte geschrieben wird. Dort versuche ich, von Menschen zu erzählen, die alles verloren haben, und ihnen damit Würde zu geben. Das macht für mich Sinn. Dass ich das tun kann, ist für mich ein Privileg. Ich will aktiv etwas machen – über das Leid, das geschieht, berichten und helfen, wenn es mich braucht. Finanziell muss es sich nicht lohnen, obwohl es das dank Referatsanfragen mittlerweile tut.


In der Ukraine waren wir viel unterwegs, haben uns durchgefragt und begegneten einmal einer alten Frau, die trotz Artilleriefeuer ihre Kartoffeln rüstete. Sie sprach von den ukrainischen Soldaten um die Ecke, wo wir dann auf Russen stiessen. Die Front wechselte dort so oft, dass sie nicht mehr wusste, wer gerade da war. Mich haben die Menschen beeindruckt, die dortbleiben. Manche hatten alles verloren und wollten mir noch alles geben. Im Krieg ist der Kontrast von Hochs und Tiefs an Menschlichkeit unglaublich gross.
Damit ein Foto gelingt, muss ich versuchen, die Dinge zusammenzufassen. Und ich muss das Grauen so abstrahieren, dass die Chance zur Publikation besteht. Einmal hielten wir bei einem abgeschossenen russischen Panzer an und warteten. Der Wolkenstand veränderte sich. Die möglichen Fotowinkel waren wegen der verminten Strassenränder reduziert. Ich machte mehrere Bilder, unter anderem mit einem ukrainischen Panzer, der in Gegenrichtung vorbeifuhr. Die Ukrainer hatten an Land zurückgewonnen. An anderen Tagen warteten wir neben gefallenen Soldaten, bis das Licht und die Umgebung stimmten. Mit Galgenhumor, anders geht’s nicht.

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