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Pfarrkapitel als Nährboden für Gemeinschaft

von Carole Bolliger
min
25.09.2025
Pfarrerinnen und Pfarrer arbeiten oft selbstständig jeweils in ihren Kirchgemeinden. Umso wichtiger ist das Pfarrkapitel – ein Ort, an dem sie sich austauschen, stärken und inspirieren. 

Wenn sich die Pfarrpersonen treffen, geht es nicht nur um Traktandenlisten und Beschlüsse. Es geht ums Teilen von Freude und Sorgen, von Fragen und Ideen. «Für mich ist das Pfarrkapitel ein Teil unseres Nährbodens», sagt Marie-Luise Blum, Pfarrerin in Hochdorf. «Wir Pfarrpersonen sind oft die Einzigen unserer Berufsgruppe in unserer Gemeinde. Im Kapitel haben wir so etwas wie  ein Lehrpersonenzimmer oder ein Stationszimmer im Pflegebereich, wo wir uns mit Berufskolleginnen und -kollegen austauschen können.» Ihre Berufskollegin Hannah Treier, Pfarrerin in Sursee, spricht von einem «gemeinsamen Vorwärtsgehen».

Kirchliches Leben

Am Pfarrkapitel nehmen alle Pfarrper­sonen der Kirchgemeinden und von kantonalen Spezialpfarrämtern wie der Spital- oder Feuerwehrseelsorge teil. Während der vergangenen Jahre hatte das Kapitel den Charakter einer Versammlung mit Traktandenlisten, Protokollen und Geschäften. Doch die Form wandelt sich. «Frontalreferate, bei denen ein paar reden und die anderen zuhören, sind heute nicht mehr das Ziel», erklärt Hannah Treier. «Es geht darum, dass jede und jeder seine Themen einbringen kann – was sie beschäftigt, woran sie Freude haben, womit sie ringen.»

Unsere Aufgabe im Pfarrkapitel ist nicht Aktionismus, sondern Zuhören und Wahrnehmen. Das motiviert mehr.

Beim jüngsten Pfarrkapitel stand das Thema «kirchliches Leben» im Zentrum. Für Maximilian Paulin, Pfarrer in Malters, ist klar: «Kirche entsteht, wo Menschen einander unter der Oberfläche begegnen – ehrlich, verletzlich, offen füreinander.» Sein Berufskollege in Escholzmatt, Christian Leidig, betont den reformatorischen Aspekt: «Kirche ist auch eine Bildungs- und Auslegungsgemeinschaft. Wir ringen gemeinsam mit den biblischen Texten und fragen, was sie heute bedeuten.»

Wie zeigt sich kirchliches Leben konkret in den Gemeinden? Christian Leidig sieht seine Gemeinde als Netzwerk, in dem Beziehungen gepflegt werden, Menschen sich wahrgenommen fühlen, sich austauschen – auch über Glauben und Kirche. Hannah Treier wiederum schätzt den Raum für Gespräche über Sinnfragen: «Mein Beitrag ist eher auf der denkerischen Seite – Fragen stellen, gemeinsam nachdenken, das gehört für mich zum kirchlichen Leben.» Für Maximilian Paulin zeigt sich Lebendigkeit besonders im Feiern: «Wenn beim Singen die Augen leuchten oder beim Anstossen die Lebensfreude spürbar wird – dann ist Kirche da.» Und Marie-Luise Blum erzählt von einem besonderen Projekt in ihrer Gemeinde: Kinder übernachten regelmässig in der Kirche. Eine Zweitklässlerin hatte die Idee dafür.

 

Marie-Luise Blum wirkte bis zur Wahl von Christian Leidig im Präsidium. | Foto:  Emanuel Ammon

Marie-Luise Blum wirkte bis zur Wahl von Christian Leidig im Präsidium. | Foto: Emanuel Ammon

 

Gemeinde beteiligen

Doch es gibt auch Schattenseiten. Manche Angebote werden nicht wie erwartet angenommen, Ressourcen sind knapp. «Wenn wir versuchen, den riesigen weis­sen Elefanten namens Kirche zu ziehen, landen wir im Burnout», warnt Marie-Luise Blum. Deshalb setzt sie klare Grenzen: «Ich starte ein Projekt nur, wenn mindestens drei bis fünf Menschen in der Gemeinde begeistert mitziehen.»

Auch die Frage nach der Relevanz der Kirche drängt sich auf. «Ich akzeptiere, dass das Leben ohne Gott, Christus und Kirche wunderbar möglich ist», sagt Blum nachdenklich. «Aber ich bejammere das nicht, sondern stelle mich mit meiner Spiritualität zur Verfügung.» Sie formuliert ein Bild: Das Pfarrkapitel sei wie ein Windrad, das Strom generieren müsse, aber manchmal den Wind, also die Unterstützung, benötige. Die Berufskolleginnen und -kollegen, die Communio, könnten helfen, einander wieder Wind für das Windrad zu geben, damit Energie frei wird. Christian Leidig ergänzt: «Unsere Aufgabe im Pfarrkapitel ist nicht Aktionismus, sondern Zuhören und Wahrnehmen. Das motiviert mehr.»

Inspiration und Gemeinschaft

Trotz aller Herausforderungen erleben die Pfarrpersonen das Pfarrkapitel als Kraftquelle. «Früher war das Klima oft angespannt, heute ist es von Wohlwollen geprägt. Man freut sich, einander zu sehen, sich auszutauschen und voneinander zu lernen», erzählt Hannah Treier, die seit vier Jahren dabei ist. Marie-Luise Blum berichtet von einem Kollegen, der im Pfarrkapitel die Idee vorgestellt hat, die Jahres­planung 2026 seiner Gemeinde nicht nur mit dem Team von Mitarbeitenden, sondern auch mit Freiwilligen und Ehren­amtlichen zu gestalten. Das Kapitel behandelt zudem Themen, die den Beruf direkt beeinflussen – etwa Burnout oder Pen­sionierung – und die im Alltag mit Gemeindemitgliedern nicht zur Sprache kommen.

Neben den offiziellen Sitzungen gibt es für die Pfarrpersonen weitere Formen der Begegnung: eine Retraite mit Übernachtung im Herbst, gemeinsame Mittagessen oder Wanderungen. «Wenn wir unterwegs sind, sprechen wir nicht über Autos oder Ferien, sondern über die Schnittstelle zwischen Persönlichem und Beruflichem», erklärt Blum.

Das Pfarrkapitel ist weit mehr als ein Pflichttermin. Es ist ein Ort des Zuhörens, der gegenseitigen Stärkung und der In­spiration – ein Raum, in dem Kirche im Kleinen gelebt wird und Impulse in die Gemeinden hinausgehen.

 

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