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Schweiz erreicht, Pläne gescheitert

von Stefan Degen
min
23.08.2023
Jafar* hat eine doppelte Reise hinter sich. Eine äussere Reise: die Flucht vor dem iranischen Regime in die Schweiz. Und eine innere Reise: die Konversion zum Christentum. Geplant hatte er keine von beiden.

Die Nachricht war ein Schlag: Jafars* Frau teilte ihm am Telefon mit, sie könne ihm nicht in die Schweiz nachfolgen. Ihr Gesuch, das sie in der Schweizer Botschaft in Teheran gestellt hatte, sei abgewiesen worden. Jafar brach zusammen, physisch und psychisch, und wurde ins Spital eingeliefert. Er gab seine Pläne auf und sein Leben «in Jesu Hand», wie er sagt.

Tricks gegen Internetzensur
Pläne hatte Jafar früher ganz andere. Zusammen mit einem Freund betrieb der Informatiker einen Internet-Provider im Iran. Nebenbei richtete er auch VPN-Server ein, mit denen sich die iranische Internetzensur umgehen liess. Als Jafar zufälligerweise gerade in der Türkei war, kamen ihnen die Behörden auf die Schliche. Eine Rückkehr war unmöglich. Noch Jahre später befragen iranische Beamte seine Verwandten nach ihm. Zu ihrem Schutz werden hier keine Details genannt, die Rückschlüsse auf seine Identität zulassen.

Über Umwege kam Jafar ins Bundesasylzentrum (BAZ) Altstätten. Doch der Start in der Schweiz war schwer. Jafar machte sich Sorgen um seine Frau und haderte mit dem Schicksal. Zudem erlebte er viele Schweizer als abweisend. Nur im Café 51, einem kirchlichen Begegnungscafé in Altstätten, fand er Anschluss. Die Freundschaften, die er dort knüpfte, halten bis heute an.

Eltern «zu fünf Prozent muslim»
Über Schweizer Freunde kam Jafar mit dem Christentum in Kontakt. Er las in der Bibel und besuchte gelegentlich Gottesdienste einer Freikirche. Im Iran hatte Jafar wenig mit Religion am Hut gehabt. Er wuchs in einer Familie auf, die den muslimischen Glauben kaum praktizierte. «Ich sage immer: Meine Eltern sind zu fünf Prozent Muslim», erklärt er. «In der Schule musste ich Arabisch lernen, aber der Islam war nicht wichtig für mich. Ich betete nicht und fastete nicht. Ich glaubte nur, dass es irgendeine höhere Macht gibt.»

Vom BAZ Altstätten wird Jafar in ein Heim in der Ostschweiz verlegt. Er erhält einen positiven Asylentscheid, kann in eine eigene Wohnung ziehen und findet Arbeit in einem Informatikbetrieb. Einfach war dieser Weg nicht. «Ohne Vitamin B funktioniert in der Schweiz gar nichts», so seine Einschätzung. «Um eine Wohnung oder eine Arbeit zu finden, musste ich immer einen Schweizer dabeihaben, der quasi für mich bürgte.»

Wenn Jafar von seinem Leben erzählt, ist oft von Plänen die Rede. Von seinen eigenen Plänen und von Gottes Plänen. Alle seine Pläne seien gescheitert, als er nach dem Zusammenbruch ins Spital eingeliefert worden sei. Da habe er zu Jesus gesagt: «Ich bin jetzt fast ein Jahr in der Schweiz, meine Frau ist immer noch im Iran. Ich gebe mein Leben jetzt in deine Hände. Wenn sie doch noch kommen kann, werde ich mich taufen lassen.»

Per Schlepper über die Grenze
Tatsächlich schaffte es Jafars Frau, in die Schweiz zu fliehen. Mit einem Schlepper überquerte sie die iranische Grenze. «Ich habe sie dann in Zürich abgeholt», strahlt Jafar. Zusammen gingen sie in die Kirche, wo er sich taufen liess und sie sein Zeugnis hörte. Selbst wollte sie aber nicht Christin werden. Jafar respektiert das. Der Glaube sei eine persönliche Entscheidung, sagt er. «Sie soll diese Entscheidung frei treffen.» Die Religion trenne sie nicht, meint er, und erzählt freudig vom ersten Kind, das sie erwarten.

Konversion nicht vorgeschoben
Im Iran würde Jafar wegen seiner Konversion zum Christentum verfolgt. Auf Apostasie – den Abfall vom Islam – stehen hohe Strafen. Ist Jafar also nur pro forma zum Christentum übergetreten, um seine Chancen auf ein Bleiberecht in der Schweiz zu erhöhen, wie dies Geflüchteten bisweilen unterstellt wird? Gregor Weber, reformierter Seelsorger am BAZ Altstätten, kennt Jafar persönlich. Er winkt ab: «Jafar ist erst konvertiert, nachdem er als politischer Flüchtling anerkannt wurde.» Ohnehin sei die Chance in der Schweiz klein, aufgrund religiöser Verfolgung ein Bleiberecht zu erlangen, sagt der Asylseelsorger. «Das lohnt sich kaum.»

Obschon kaum etwas so lief wie geplant, ist Jafar dankbar für seinen Weg. Er will der Gesellschaft etwas zurückgeben: Zusammen mit Tischlein deck dich organisiert er eine Essensabgabe für Bedürftige, übersetzt im Café 51 oder hilft in der Kirche bei der Technik mit. Am Iran vermisse er nichts, sagt er. «Mein Lebensmittelpunkt ist jetzt hier.»

*Name geändert

Religiöse Konversion und Flucht

Jafar* floh nicht aus dem Iran wegen politischer Verfolgung, nicht wegen seiner Konversion zum Christentum. Sein Religionswechsel erfolgte erst in der Schweiz. Viele andere Geflüchtete werden aber aus Gründen der Religion verfolgt – Religion zählt zu den ältesten Fluchtgründen der Menschheitsgeschichte. Seit der Zunahme von Geflüchteten im Jahr 2015 wurde religiöse Konversion im Kontext von Flucht und Asyl auch in der Schweiz zu einem öffentlichen Thema. Wie soll der Staat umgehen mit Menschen, die vor oder während des Asylverfahrens ihre Religion wechseln und deswegen in ihrem Herkunftsland bedroht sind? Wie schützt er das in der Verfassung garantierte Recht auf Glaubens- und Gewissensfreiheit? Zu diesen Fragen hat die Evangelische Kirche Schweiz (EKS) ein Grundlagenpapier erarbeitet, das sie aus theologischer, soziologischer und rechtsethischer Sicht beleuchtet. (eks / sd)

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