«Wir sollten nicht nur Pflästerchen auf alte Strukturen kleben»
Ursula Müller-Wild, Sie waren vier Jahre Präsidentin, davor Vizepräsidentin und Mitglied des Kirchenrats. Insgesamt waren Sie 28 Jahre im Kirchenrat der Reformierten Kirche Kanton Zug tätig. Wieso stellen Sie sich nicht mehr zur Wahl?
Erstens, weil es genug ist, zweitens, ich bin 67 Jahre alt, habe ein Enkelkind und einen pensionierten Mann zu Hause. Jetzt ist es Zeit für mich, wieder mehr Raum für mich selbst zu haben.
Wie haben sich das Kirchenleben und Ihre Arbeit im Kirchenrat verändert in diesen fast 30 Jahren?
Es ist herausfordernder und zeitintensiver geworden. Der Verwaltungsapparat ist gewachsen – es ist viel mehr geworden.
Was hatten Sie sich für die Amtszeit im Präsidium vorgenommen, und was davon konnten Sie verwirklichen?
Wir konnten das überarbeitete Personalgesetz nach jahrelanger Arbeit einführen. Ausserdem erstellten wir für alle Pfarrpersonen Stellenbeschreibungen und Stellenprofile – etwas, was lange aufgeschoben worden war.
Gibt es Ziele, die Sie nicht erreichen konnten?
Ich hätte gerne eine Kirchenordnung anstelle des bestehenden Gesetzeswirrwarrs. Daran zu arbeiten, habe ich leider nicht mehr geschafft. Ich hoffe, dass der neue Rat das anpackt. Auch hätte ich mir gewünscht, dass wir im Kirchenrat mehr Zeit für gemeinsames Zukunftsdenken gehabt hätten.
Unter Ihrer Führung wurden die Finanz- und Personalressorts stark betont. Welche Entwicklung gab es?
Finanziell stehen wir sehr gut da – schuldenfrei, mit stabilen Steuereinnahmen. Personalrechtlich haben wir mit dem neuen Gesetz moderne Strukturen geschaffen.
Viele Menschen kritisieren, dass die Kirche zu sehr in Verwaltung oder Struktur verhaftet ist und zu wenig in der Nähe der Menschen. Sehen Sie das auch so?
Nein, überhaupt nicht. Aber viele wissen gar nicht, was wir alles tun. Wir engagieren uns sozial, viele Freiwillige arbeiten aktiv. Das muss mehr sichtbar werden, damit die Menschen die Kirche anders wahrnehmen. Ganz nach dem Motto: Tue Gutes und sprich darüber.
Sie sind seit 28 Jahren in der Kirche engagiert. Welche Rolle spielt der Glaube für Sie?
Eine sehr grosse. Ich bin in einem reformierten Haus aufgewachsen, der Glaube war immer präsent. Er gibt mir Vertrauen, besonders in schwierigen Situationen, dass es gut kommt. Beten, eine Kerze anzünden – das gibt mir Kraft und eine tiefe Ruhe im Herzen.
Was hat Sie in Ihrer Tätigkeit im Kirchenrat persönlich besonders belastet, und was hat Ihnen besonders Freude gemacht?
Belastet haben mich Schicksalsschläge von Mitarbeitenden oder Kolleginnen und Kollegen. Freude bereitet hat mir, Projekte zu fördern und Menschen zu begleiten. Und besonders freue ich mich, dass wir im Kanton Zug weiterhin Personal finden und Pfarrpersonen für uns gewinnen können. Dass unsere Kirche ein attraktiver Arbeitgeber ist mit guten Bedingungen, überschaubaren Strukturen und moderner Anstellungspraxis.
Wenn Sie auf Ihre Amtszeit als Präsidentin zurückblicken, gibt es etwas, worauf Sie besonders stolz sind?
Dass die Reformierte Kirche Kanton Zug auch national eine Bedeutung hat, dies nicht nur der Finanzen wegen. Ausserdem freue ich mich über die engere Zusammenarbeit der reformierten Kirchen in der Zentralschweiz für das Thema «Förderung kirchlicher Berufe».
Welche Aufgaben sollte Ihre Nachfolgerin priorisieren?
Die Rahmenbedingungen sollten unbedingt angepasst werden, die erwähnte Kirchenordnung ist sehr wichtig. Meine Nachfolge, aber auch der gesamte neue Kirchenrat muss mutige Entscheidungen treffen, nicht nur Pflästerchen auf alte Strukturen kleben.
Was wünschen Sie sich für die reformierte Kirche im Kanton Zug?
Dass sie noch stärker auf Menschen zugeht, Neues ausprobiert, mutig bleibt – und dabei Altes loslässt, um Raum für Neues zu schaffen.
Wie geht es bei Ihnen weiter?
Ich freue mich auf eine leere Agenda, auf Zeit mit meiner Enkelin und meine Hobbys. Vielleicht werde ich mich irgendwann für ein freiwilliges Amt engagieren, aber jetzt geniesse ich meine neu gewonnene Freiheit und Freizeit. Ich war sehr gerne die letzten 28 Jahre im Kirchenrat tätig. Soziale Arbeit, Gespräche, Begegnungen, das hat mir gefallen. Doch mein Abschied fühlt sich gut an. Es dürfen neue Köpfe im Kirchenrat übernehmen.
«Wir sollten nicht nur Pflästerchen auf alte Strukturen kleben»