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Teilzeitarbeit in der Reformierten Kirche

Zwischen Orgelpfeifen und Velopedalen

von Carole Bolliger
min
26.06.2025
In der Reformierten Kirche Kanton Zug hat Teilzeitarbeit längst Priorität: Von 120 Mitarbeitenden sind 108 in Teilzeit tätig. Einer davon ist Johannes Bösel, der nebst Kirchenmusiker auch als Energieingenieur und Velokurier unterwegs ist.

Wer nicht in Vollzeit arbeiten will oder kann, ist bei der Reformierten Kirche Kanton Zug an der richtigen Adresse. Laut Kirchenschreiber Klaus Hengstler arbeiten rund 90 Prozent der 120 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Teilzeit. Die Nachfrage nach Teilzeitstellen sei in den vergangenen Jahren eher gewachsen als geschrumpft.

Der 59-jährige Johannes Bösel ist einer der vielen Teilzeitmitarbeitenden: Wenn er nicht grad für schöne Orgelklänge in der Kirche Baar sorgt, kurvt er als Velokurier durch den Kanton Zug oder optimiert Kirchengebäude energietechnisch.

Viele Talente – drei Berufe

Ursprünglich war Johannes Bösel Verfahrenstechnikingenieur im Bereich Kältetechnik. Später spezialisierte er sich auf Energietechnik und absolvierte eine Zusatzausbildung zum Energieingenieur, um Gebäude energetisch zu optimieren. 2011 wurde die Teilzeitstelle (25 Prozent) als Kirchenmusiker in Baar frei – eine überraschende Gelegenheit für ihn: «Ich habe als Jugendlicher viel Klavier und Orgel gespielt und damals die Ausbildung zum Kirchenmusiker gemacht, aber es nicht weiterverfolgt», erklärt er. Seine Frau wies ihn auf die Stelle hin. «Ich dachte mir, das wäre ein idealer Ausgleich zum Ingenieursalltag», erinnert sich Johannes Bösel. Seither macht er bei rund 60 Gottesdiensten und Anlässen pro Jahr Musik.

Parallel dazu liegt ihm das Velofahren im Blut: Aus Begeisterung wurde Beruf. Seit fünf Jahren fährt er regelmäs­sig als Velokurier durch den Kanton Zug im 30-Prozent-Pensum. Er liefert Post, Blumen, Medikamente, Laborproben, Mittagessen oder leert die Bücherrückgabebox am Metalli für die Stadtbibliothek. «Ich treffe viele Menschen, die meine Arbeit sehr wertschätzen.» Hinzu kommt ein Minipensum von 10 Prozent als Energieoptimierer für kirchliche Liegenschaften. In dieser Funktion berät er Kirchgemeinden, analysiert Haustechnik und schlägt Massnahmen vor, die den Energieverbrauch um bis zu 25 Prozent senken können, ohne Komfortverluste – ganz im Sinne der kirchlichen Schöpfungsbewahrung.

Diese drei Tätigkeiten zu koordinieren, erfordert Planung, doch für Johannes Bösel geht es auf: Die Velokurier-Schichten werden rund einen Monat im Voraus verteilt, die kirchenmusikalischen Einsätze liegen hauptsächlich an Wochenenden. «Nur wenn kurzfristig eine Beerdigung an einem Wochentag anfällt, tausche ich gelegentlich mit einem Kollegen.»

Frei- und Arbeitszeit verschwimmen

Oft widmet er den Vormittag dem Velofahren, nachmittags übt er in der Kirche Orgel. Die Termine als Energieoptimierer kann er flexibel legen. «Eine strikte Trennung gibt es nicht – trotzdem habe ich seit meinem Wechsel mehr innere Ruhe.»

Ein denkwürdiges Erlebnis als Kurier schildert er so: An einem stürmischen Wintertag musste er einen steilen Hügel hinauffahren, während ihm eisiges Schneegestöber ins Gesicht peitschte. «Da habe ich gemerkt, dass ich auch in schwierigen Momenten nicht aufgebe – im Nachhinein wächst man an solchen Herausforderungen.» Aber er schätzt ebenso stille Momente: Eine seiner Lieblingsstrecken im Herbst führt von Baar nach Zug an der Lorze entlang. «Wenn die Blätter fallen und ich durch sie hindurchfahre, ist das Poesie pur.»

Weniger Verdienst, aber glücklicher Johannes Bösel gab seinen Vollzeit-Ingenieursjob auf. «Früher habe ich mehr verdient, aber ich war nicht ausgeglichen.» Sein Teilzeitarrangement sei finanziell keine Steigerung, aber erfüllend und ermöglicht ihm, gleich mehreren Leidenschaften nachzugehen. Der 59-Jährige kann sich gut vorstellen, diesen Berufsmix noch bis zur Pensionierung fortzusetzen. «Und der Kirchenmusik bleibe ich vielleicht sogar nach der Penionierung treu – wer weiss.»

 

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