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Eine Schulklasse legt den Finger auf einen wunden Punkt

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28.12.2021
Berufsmaturandinnen und -maturanden haben ein Video produziert – einen stillen Kurzfilm mit prägnantem Inhalt. Es geht um sexuelle Gewalt im ganz gewöhnlichen Schweizer Alltag

Dezente Klaviermusik, dazu eingeblendete Sätze vor dunkelgrünem Hintergrund, schriftliche Aussagen zu sexuellen Übergriffen und sexueller Gewalt. Dann Screenshots aus Chats, in denen es um dasselbe geht. Und ein anonymes Tondokument, in dem eine junge Frau erzählt, wie sich ein Mann im Zug vor ihren Augen selber befriedigte, wie schockiert sie war, wie sehr sie der Vorfall bis in ihre Albträume verfolgte – und wie die Geschichte ausging, als sie bei der Polizei Anzeige erstattete.

Sie erkannte den Mann auf einem Täterbild, er wurde gefasst und musste sich vor Gericht verantworten. Ein gutes Dutzend Sexualdelikte in mehreren Kantonen hatte er auf dem Kerbholz, bis hin zur Vergewaltigung einer Minderjährigen.

Häufiger, als man denkt
Dieser authentische Bericht zeigt: Es ist richtig, Anzeige zu erstatten. Und das ganze Video zeigt: Solche Vorkommnisse sind viel häufiger, als man gemeinhin annehmen könnte. Entstanden ist das Video im Rahmen eines Klassenprojekts an der Berufsmaturitätsschule bfsl mit dem Schwerpunktfach Sozialwissenschaften.

Es begann im Deutschunterricht, als die 14-köpfige Klasse, bestehend aus elf Frauen und drei Männern, die Novelle «Michael Kolhaas» von Heinrich von Kleist las. In dieser Geschichte geht es um einen brandenburgischen Pferdehändler zur Zeit der Renaissance, der Unrecht erfährt, daraufhin das Recht selber in die Hand nimmt und in der Folge als Oberhaupt einer frühneuzeitlichen Terrortruppe weite Landstriche verwüstet.

Von Kleist in die Gegenwart
Nach der Lektüre diskutierte die Klasse über die Novelle. Weil diese vom Kampf gegen das Unrecht handelt, kamen die jungen Leute über verschiedene Unrechtssituationen in der heutigen Gesellschaft bald einmal auch auf sexuellen Missbrauch zu reden – und blieben daran hängen. Bei diesem Thema wüssten alle, wovon die Rede sei. Viele hätten es selber erlebt. Und den meisten sei jemand bekannt, der oder die schon einmal so etwas erleiden musste: So klingt es bei einem Gespräch mit zwei Frauen aus der Klasse.

Schnell war klar, dass die Klasse rund um dieses Thema ein Projekt realisieren wollte. Was aber sollte es sein? Die Lancierung oder Unterstützung einer politischen Initiative? Die Durchführung eines Workshops oder einer Podiumsdiskussion? Da kam die Idee auf, ein Video zu machen; vom zeitlichen Aufwand her lag dies drin, zudem lässt sich ein Video auf unterschiedlichsten Kanälen verbreiten.

«Du bist nicht allein»
Gesammelt und im Video verarbeitet wurden die Aussagen und Erlebnisse von jungen Frauen zwischen 16 und 30 Jahren aus dem persönlichen Umfeld der Klasse. Den jungen Leuten ist sehr wohl bewusst, dass teilweise auch Männer sexuelle Nötigung und Gewalt erleben, aber sie wollten in unserem Video ausdrücklich auf weibliche Erfahrungen fokussieren. Nicht zuletzt, weil mehrheitlich Frauen Opfer von sexualisierter Gewalt würden – «so sehr, dass es eigentlich schon fast zum Alltag gehört und oft auch verharmlost wird». Das Video wolle nachdenklich stimmen, aufrütteln – und Betroffenen zeigen: «Du bist nicht allein, und du kannst dich wehren.»

Hans Herrmann, reformiert.info

Link zum Video

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