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Sozialwerk Pfarrer Sieber

Pfuusbus am Limit: «Sogar manche Gäste schlafen lieber draussen»

von Sandra Hohendahl-Tesch/reformiert.info
min
24.05.2025
Der Pfuusbus platzt aus allen Nähten. Psychische Krisen und Crack verschärfen die Lage, sagt der Kommunikationsbeauftragte Walter von Arburg im Interview.

Warum war dieser Winter im Pfuusbus besonders schwierig?

Walter von Arburg: Die Zahl der Übernachtungen hat weiter zugenommen. Die permanente Überbelegung erzeugt Enge und Stress. Für die Gäste, aber auch für die Betreuenden, die oft freiwillig im Einsatz stehen.

Was bedeutet das konkret im Alltag?

Es wird improvisiert: Matratzen auf dem Boden, Betten zusammenrücken, keine Rückzugsräume. In dieser Dichte reagieren Menschen schneller gereizt, insbesondere, wenn sie psychisch belastet sind. Wir hatten Vorfälle mit Gästen in psychotischen Zuständen und es kam auch zu aggressiven Ausbrüchen. Das sind Situationen, die unsere Teams stark belasten.

Ist das ein neues Phänomen oder war das schon früher so?

Es ist nicht neu, aber es hat sich klar verschärft. Viele Menschen, die bei uns landen, haben eine Suchterkrankung oder psychiatrische Diagnose. Besonders auffällig ist die Zunahme von Crack-Konsum. Diese Substanz ist aggressiver, macht schneller abhängig und verändert das Verhalten der Betroffenen. Wir beobachten das nicht nur im Pfuusbus, sondern auch in unserem Fachspital Sune-Egge.

Wie zeigt sich das konkret?

Es gibt häufiger nächtlichen Lärm, Ausraster, Beschimpfungen, manchmal auch Gewaltandrohungen. Menschen schreien herum, werfen Gegenstände. Früher war das die Ausnahme, heute kommt es regelmässig vor. Und das ist für die Betreuenden ein enormer Kraftakt, zumal viele keine Fachausbildung im psychologischen oder psychiatrischen Bereich haben.

 

Seit 14 Jahren arbeitet Walter von Arburg als Kommunikationsbeauftragter beim Sozialwerk Pfarrer Sieber. Dieses betreibt unter anderem den Pfuusbus, das Fachspital Sune-Egge sowie weitere Einrichtungen fĂĽr Menschen in sozialen Notlagen.

 

Hat sich auch das soziale Profil der Gäste verändert?

Durchaus. Neben suchtkranken und psychisch instabilen Menschen haben wir zunehmend auch Gäste, die tagsüber arbeiten – und trotzdem keine Wohnung finden. Sie kommen abends in den Pfuusbus, weil sie sich trotz Job keine Miete mehr leisten können.

Was sagt das ĂĽber die Hilfsangebote in der Region?

Die reichen nicht mehr aus, jedenfalls nicht für Menschen mit komplexen psychischen Problemen. Das System funktioniert vielleicht noch für jene, die in einer klassischen Krisensituation stecken. Aber für psychisch instabile Menschen, die mehr als nur ein Dach über dem Kopf brauchen, gibt es kaum tragfähige Lösungen. Sie fallen durchs Raster. Und am Ende landen sie bei uns – mit Medikamenten aber ohne Betreuung.

Was wären Ihrer Meinung nach sinnvolle Ansätze?

Langfristig braucht es mehr geschützten, betreuten Wohnraum. Modelle wie «Housing First» wären ein Anfang – also zuerst ein Dach über dem Kopf, dann der Rest. Aber dafür fehlen Ressourcen und Personal.

Und kurzfristig?

Mehr psychiatrische Anlaufstellen, niedrigschwellige UnterstĂĽtzung und bessere Vernetzung der Stellen.

 

Deutlich mehr Ăśbernachtungen

Zwischen dem 15. November 2023 und dem 15. April 2024 wurden im Pfuusbus 7795 Übernachtungen gezählt. Das sind rund 1200 mehr als im Vorjahr. 286 verschiedene Personen suchten Schutz. An einzelnen Nächten mussten bis zu 60 Menschen untergebracht werden – obwohl eigentlich nur 44 Betten zur Verfügung stehen.

 

Wie steht es um die Sicherheit im Pfuusbus?

Wir hatten bisher Glück, es gab keine schweren Verletzungen. Auch die Zusammenarbeit mit der Polizei funktioniert gut. Aber das Risiko ist real. Und der Gedanke, dass diese Spannungen irgendwann eskalieren könnten, ist da.

Wie geht das Team mit der Belastung um?

Mit grosser Solidarität, aber auch mit wachsender Erschöpfung. Wir hören von Gästen: «Ich schlafe lieber draussen, weil es im Bus zu unruhig ist.» Das kann nicht der Anspruch einer sicheren Notschlafstelle sein.

Gibt es trotz allem Dinge, die Hoffnung machen?

Ja, auf jeden Fall. Die Freiwilligen, die dieses Projekt tragen. Und auch die Dankbarkeit vieler Gäste. Ein warmes Getränk, ein Bett, ein Gespräch: Manchmal ist das alles, was jemanden durch die Nacht bringt. Und das zeigt, wie wichtig es ist, hinzuschauen. Gerade da, wo andere wegsehen.

 

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