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Welche Chancen haben alte Kirchen?

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31.05.2021
Die Zahl der Kirchgänger nimmt ab. Doch der Unterhalt der oft denkmalgeschützten Kirchen ist aufwendig. Was tun mit den leeren Kirchen? Eine Tour durch die Schweiz zeigt die Problematik und kreative Lösungen.

Fährt man von Westen in den Bahnhof St. Gallen ein, so ist sie kaum zu übersehen: die Kirche St. Leonhard, die links über den Geleisen thront. Ein zentrales Gotteshaus, das die Präsenz der Kirche in der Stadt markiert? Fehlanzeige. Denn die Leonhardskirche gehört nicht mehr der reformierten Kirche und steht leer – seit 17 Jahren.

Die Kirche St. Leonhard war schweizweit eine der ersten, die an Private verkauft wurde. Wohl deswegen sei es nicht optimal gelaufen, vermutet Johannes Stückelberger. Der Kunsthistoriker der Universität Bern kennt die Fragen rund um Kirchenumnutzungen wie kein anderer in der Schweiz. «Die Kirche St. Leonhard verkaufte man in einem Verfahren, wie man es vom Einfamilienhaus kennt», analysiert er. «Man braucht es nicht mehr, also verkauft man es.» Doch Kirchen seien anders als Einfamilienhäuser: «Sie sind Orientierungspunkte im Stadtbild. Sie sind nicht nur für die Kirchgemeinde wichtig, sondern für die ganze Bevölkerung.»

Sanierung teuer
Der Anstoss zu einer Kirchenumnutzung ist oft finanzieller Natur. Die Unterhaltskosten sind hoch, Sanierungen teuer. Da stellt sich die Frage, was man mit der Liegenschaft überhaupt will. So auch in der Winterthurer Kirche Rosenberg: Das Dach war undicht, die Haustechnik veraltet, der Energieverbrauch immens. 80’000 Franken kostete der Unterhalt der leerstehenden Kirche jährlich. Benötigt wurde die Kirche nicht, denn es gab im Quartier noch eine zweite. Da lag es nahe, vor der Sanierung mögliche Nutzungen zu diskutieren, und zwar «ergebnisoffen», wie die Kirchenpflege damals mitteilte. Schliesslich entschied sich die Kirchgemeinde, die Rosenberg-Kirche nach deutschen Vorbildern in eine Kulturkirche umzuwandeln. Das Konzept lag vor, doch das Vorhaben scheiterte im November 2015 an der Urne.

Heilig, aber nicht geweiht
Im Gegensatz zu katholischen Kirchen sind reformierte Kirchen nicht geweiht. Sind sie also bloss totes Gemäuer, von einem profanen Gebäude nicht zu unterscheiden? Stückelberger verneint. Dass Kirchen besondere Räume seien, zeige sich in ihrer Architektur: «Die Räume sind hoch, die Lichtverhältnisse ungewohnt, die Akustik hallend.» Deswegen verhalte man sich in einer Kirche automatisch anders als in einer Turnhalle. «Man spricht leiser, man geht langsamer, verfällt in eine andächtige Stimmung.» Dazu komme das Wissen, dass in diesem Raum Taufen, Konfirmationen, Hochzeiten, Beerdigungen stattgefunden haben. Das führe dazu, dass man dem Gebäude Ehrfurcht entgegenbringe. «Ein reformierter Kirchenraum wird geheiligt durch die Versammlung der darin Gottesdienst Feiernden», sagt Stückelberger.

Als Asylunterkunft genutzt
In Winterthur stand man nach dem Nein zur Kulturkirche Rosenberg vor einem Scherbenhaufen. «Am Abend nach der Abstimmung setzte ich mich in die Badewanne und liess mir die Sache durch den Kopf gehen», erzählt Kirchenpflegepräsident Ueli Siegrist. Damals berichteten die Medien ständig über volle Flüchtlingsunterkünfte. «Noch am gleichen Abend schrieb ich der Stadt ein Mail mit dem Angebot, die Rosenberg-Kirche als Asylunterkunft zu nutzen.»

Danach ging es schnell. In Rekordtempo wurden Holzhäuschen entworfen und vom Zivilschutz montiert, Baubewilligungen erteilt, Verträge unterzeichnet und Informationsveranstaltungen für die Bevölkerung durchgeführt. Zwei Monate nach dem Nein zur Kulturkirche zogen bereits die ersten Flüchtlingsfamilien ein. «Die Unterstützung in der Bevölkerung war gross», erinnert sich Ueli Siegrist. Freiwillige erteilten Deutschkurse, sangen und malten mit den Kindern, organisierten Ausflüge. So entstanden Freundschaften, die Bestand hatten, als die Kirche nach zwei Jahren als Flüchtlingsunterkunft nicht mehr benötigt wurde.

Noch heute nehmen ehemalige Asylsuchende der Rosenberg-Kirche an der Gemeindeferienwoche teil. Zum Beispiel Arazoo Hama und Chiya Salih. Die irakischen Kurden wohnten mit ihren drei Kindern ein Jahr lang in der Kirche Rosenberg. «Es war nicht einfach», erzählt Arazoo. Denn Toiletten und Duschen befanden sich in Containern vor der Kirche. «Wenn unsere kleinen Kinder im Winter in der Nacht auf die Toilette gingen, mussten sie nach draussen.»

Schön sei gewesen, dass sie schnell Kontakte geknüpft hätten zur Bevölkerung. Nach zwei Jahren wurde die Rosenberg-Kirche als Flüchtlingsunterkunft nicht mehr benötigt. Sie stand leer, bis im Januar 2021 ein Corona-Testzentrum eingerichtet wurde. Doch auch diese Nutzung ist temporär.

Unterhalt zu teuer
Basel-Stadt steht mit seinen zahlreichen Kirchen vor einer besonderen Herausforderung. Seit einigen Jahrzehnten schrumpft die Evangelisch-reformierte Kirche Basel-Stadt (ERK) kontinuierlich. Während der Kirchenbau im 19. Jahrhundert in der rasant wachsenden Stadt boomte, benötigt die ERK viele ihrer Gebäude nicht mehr. «Viele Kirchengebäude sind denkmalgeschützt, und wir als Besitzerin sind verpflichtet, sie zu unterhalten», erklärt ERK-Sprecher Matthias Zehnder. «Wegen des Mitgliederschwunds können wir aber den Unterhalt nicht mehr schultern.» Deshalb suche man nach neuen Möglichkeiten, alte Kirchen und Gemeindehäuser zu nutzen.

Wie ein Sechser im Lotto muss sich für die ERK das Angebot der Wibrandis Stiftung angefühlt haben, das Kirchgemeindehaus Oekolampad zu übernehmen. Sie will den in die Jahre gekommenen Gebäudekomplex umfangreich sanieren und für soziale Institutionen sowie das Quartier öffnen.

Ein Ort für Konzerte
In der im Jahr 1901 im neuromanischen Stil erbauten Pauluskirche finden seit längerer Zeit keine Gottesdienste mehr statt. «Mit ihrem besonderen Charakter eignet sich die Pauluskirche hervorragend für Chorkonzerte und als Kulturlabor», sagt Andreas Courvoisier, Inhaber eines Stadtentwicklungsbüros in Basel. «Die weiche Akustik in diesem achteckigen Raum ist besonders.» Entsprechend hat die Synode unlängst eine halbe Million Franken für bauliche und infrastrukturelle Massnahmen gesprochen, um die Nutzung der Pauluskirche als Ort der Spiritualität und Konzertplattform für Chormusik zu erweitern.

Die Martinskirche auf dem Münsterhügel, 1101 erstmals erwähnt und älteste Pfarrkirche Basels, diente einst Reformator Johannes Oekolampad für seine Predigten und läutet seit Jahrhunderten die Basler Herbstmesse ein. Die Konzertkirche ist seit Jahren Ort von offiziellen Feiern. Hier finden alljährlich der Dies academicus der Universität oder die Vereidigung der neuen Basler Polizisten statt.

Bei der Kirche St. Leonhard in St. Gallen ist unklar, wie es weitergeht. Gekauft hatte die Kirche der Winterthurer Architekt Giovanni Cerfeda für 40’000 Franken. Er hatte ein Kultur- und Eventzentrum angekündigt. Doch daraus ist nichts geworden. Seine Umbaupläne wurden von der Denkmalpflege als nicht umsetzbar zurückgewiesen.

Stefan Degen, Toni Schürmann

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